Schlecht für Feinde, gut für Touristen Sep01


Schlecht für Feinde, gut für Touristen

Die Spitalbastei mit Spitaltorturm verbindet fortifikatorische und kunsthistorische Aspekte

Das ist wahres Bollwerk: Breit, massig, mit dicken Mauersteinen, davor ein Graben, dahinter ein Turm. Die Spitaltorbastei war das letzte Bauwerk Rothenburgs im Zuge der Errichtung der Befestigungsanlage rund um die Stadt. Kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg stand sie in etwa so da, wie wir sie heute kennen. Tilly und seine Soldaten hatten hier keine Chance, das ist belegt. Sie haben es zwar trotzdem in die Stadt geschafft, aber eben nicht über die Spitaltorbastei.
Die Gesamtanlage besteht aus mehreren Bauwerken aus drei Jahrhunderten, die alle nach den damals fortifikatorisch modernsten Standards errichtet wurden. Um 1280 entstand – damals noch vor den Toren des ersten Befestigungsrings von Rothenburg – das Spital. Schon im Jahr 1298 bekam die Stadt von Kaiser Albrecht I. die Erlaubnis, das Spital in ihr Gebiet einzubeziehen.

Aus der Luft gesehen zeigt sich die liegende Acht als Gestaltungsform.

Aus der Luft gesehen zeigt sich die liegende Acht als Gestaltungsform. Foto: Happy Ballooning

Da das Gelände Richtung Südosten unbefestigt war, wurde der Spitaltorturm (auch „äußeres Gebsattler Tor“) in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts errichtet. Er erfüllte vorerst die Wehrfunktion allein. Der Spitaltortum ist 33,5 Meter hoch, mit fünf niedrigen Geschossen und einem Obergeschoss.
Die Entstehungsgeschichte der Bastei ist nicht gänzlich geklärt. Nachweisbar gab es aber von 1350 bis 1450 eine Schranke vor dem Spitaltorturm, die mit einem Feuerschützen und zwei Armbrustschützen besetzt war. Im Jahr 1459 ist ein Türmer auf dem Spitaltorturm aktenkundig.

Auch ein Wappen soll den Turm geziert haben, das aber abgeschlagen wurde, als neue Bauarbeiten an der Bastei es verdeckten. Daraufhin wurde im 4. Obergeschoss das noch heute sichtbare Wappen (das ROTOUR-Titelbild) mit Reichsadler und vier Engeln angebracht. Das Wappenschild steht dabei auf den zwei darunter angebrachten Rothenburgwappen.

Durch die Entwicklung neuer Waffen mit stärkerer Durchschlagskraft war der Turm in den Folgejahren allein nicht mehr wehrfähig. Ein flacher, breiter Vorbau mit Platz für große Geschütze war zeitgemäß. Daher wurde um 1540 die Bastion vor den Turm gebaut. Das Torwärterhäuschen entstand im Jahr 1537 (Zahl ist auf dem Sturz des mittleren Rechteckfensters eingemeißelt). Das Baujahr der Bastei, 1547, ist zusammen mit dem Stadtwappen auf dem Torbogen verewigt. Vincent Mayr hat die Entwicklungsgeschichte anhand von Zahlungseinträgen im Stadtbuch nachvollzogen. Außerdem wurden an den Balken von Dach und Giebel der Bastei dendrochronologische Untersuchungen vorgenommen: Die Bäume dafür wurden 1537, 1541 und 1542 gefällt.

Im Jahr 1586 wurde das Vortor erbaut, in dessen Bogen die Inschrift „Pax intrantibus, Salus exeuntibus“ (übersetzt: Friede den Eintretenden, Heil den Hinausgehenden) steht. Die heutige Steinbrücke, die das Vortor mit Torwärterhäuschen und die Bastei verbindet, war bis 1750 eine hölzerne Zugbrücke.
Erst um den Beginn des Dreißigjährigen Kriegs endeten die Arbeiten an der Bastei. Aus der Luft gesehen, ähnelt sie mit ihren zwei Rundungen einer Acht. Vincent Mayr gibt zu bedenken, dass es aber ungenau wäre von einer Doppelbastei zu sprechen, denn im Inneren der Anlage gibt es zwei getrennte Höfe. Im Kriegsfall wurden diese zu Fanghöfen.

Da die gesamte Anlage auf drei Höhenebenen angelegt ist (Graben, die Fanghöfe, der Kanonengang) und die Geschossräume auf der Kanonenebene durch die querovale Bauweise alle toten Winkel abdecken, konnten Eindringlinge hier zusammengetrieben werden. Selbst wenn der Feind also reinkam, dann war das gleichzusetzen mit seinem Todesurteil.

Der letzte Einsatz der Bastei
Aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs sind Informationen zu Besetzung und Bewaffnung der Spitaltoranlage überliefert: Das Tor war besetzt von zwei Turmschließern und fünf Bürgern, der Turm von einem Türmer, vier Bürgern und zwei Doppelhaken (Feuerwaffen), die Bastei mit neun Bürgern, elf Falkonette und zwei Serpentinen.

Außerdem sollen, laut Überlieferung von Georg Zierlein aus dem Jahr 1651, im Zug der Belagerung 1631 kaiserliche Soldaten unter dem Turm ein Feuer entzündet haben. 1631 brannte der Turm – ob deswegen oder wegen eines anderen Auslösers – bis auf das Mauerwerk aus. „Die vier Erker fielen herab“, schrieb der Chronist Dehner im Jahr 1673 (Historien, S. 85). In den Folgejahren nahm die fortfikatorische Funktion der Anlage an Bedeutung ab.

Ende des 18. Jahrhunderts gab es Vorschläge zur privaten Nutzung. 1803 wurde die Rüstungskammer geräumt und die Kanonen, bis auf drei, abtransportiert. Die Bastei hatte für die schweren Geschütze eine Rampe und verstärkte Plattformen. Seit 1881 gibt es den Rundgang auf dem Wehrgang und bereits 1898 wurden die Kanonen aufgestellt, die noch heute dort stehen. Im Turm selbst wurde vom Hotel Goldener Hirsch im Jahr 1959 eine Turmwohnung betrieben. Etwa fünf Jahre gab es das besondere Hotelzimmer, das aus Sicherheitsgründen längst nicht mehr öffentlich zugänglich ist (siehe Kasten).

Im Geschossgang stehen noch heute schwere Geschütze und deren Transportwagen.

Im Geschossgang stehen noch heute schwere Geschütze und deren Transportwagen. Foto: am

Im Jahr 1968 wurde im Rahmen der Restaurierung der Spitaltoranlage die Zwingermauer durchbrochen und der Holzsteg an der Westseite errichtet. Im Jahr 1978 wurden die Schweineställe in den Kasematten entfernt, der Fußboden erneuert, die Bastei begehbar gemacht und der Treppenaufgang eingebaut, der seitdem den Zwinger mit dem östlichen Graben verbindet. Die Spitaltorbastei ist längst einer der touristischen Höhepunkte in Rothenburg. Wehrtechnische, künstlerische und rezeptionsgeschichtliche Aspekte verschmelzen hier. Vincent Mayr sieht in der Spitaltorbastei ein „hervorragendes Beispiel der Wehrarchitektur an der Wende des späten Mittelalters zur Neuzeit“.

Überregionale Rezeption
Gerne wird das Rothenburger Bauwerk mit Albrecht Dürers Befestigungslehre (1527 in Nürnberg erschienen unter dem Titel „Etliche underricht, zu befestigung der Stett, Schlosz und flecken“) in Verbindung gebracht. Die Spitaltoranlage spielt bei kunsthistorischen Betrachtungen stets eine Rolle und wird in architekturhistorischen Übersichtswerken behandelt.

Heutzutage steht die Bastei den Besuchern jederzeit offen (der Turm ist nicht zugänglich). Mit ihren verschiedenen Wegführungen, mehreren Eingängen und besonderen Ausblicken durch Fenster und Schießscharten hat sie einen gewissen Abenteuercharakter. Dereinst der Schrecken der Feinde, ist sie heute eine besondere Freude für Touristen. 

Rückblick in die 50er Jahre: Die Turmwohnung

So schick ging es hoch oben im Spitaltorturm zu. In den 50er Jahren hat Wilhelm Schüchner, Eigentümer des Hotels „Goldener Hirsch“, von der Stadt die oberste Etage des Spitaltortums gemietet und dort auf eigene Kosten eine Turmwohnung eingerichtet. Ab 1959 logierten hier für einige Jahre besondere Gäste mit allem Komfort. Die kleine Wohnung hatte Wohn- und Schlafzimmer, Diele und Waschraum mit fließend Kalt- und Warmwasser, eine Toilette und eine direkte Telefonverbindung zu Hotel und Kellner. Eingerichtet war die „Turmoase“ mit auserlesenen Antiquitäten. Wilhelm Hornn, späterer Hoteldirektor, erinnert sich noch gut. Eine Nacht im Turm kostete 30 DM, inklusive Frühstück, das in den Turm geliefert wurde. „Das war zwar nicht wirtschaftlich, aber eine tolle Werbung für das Hotel“, sagt Hornn. Die „Turmoase“, die nur an vertrauensvolle Gäste vermietet wurde, gab es etwa fünf Jahre lang. Das Angebot sorgte für internationales Aufsehen in Presse, Rundfunk und Fernsehen. Feuerrechtliche Auflagen haben die dauerhafte Nutzung nicht möglich gemacht. Heute stehen die Räume leer.

am