Ein vergessenes Denkmal Aug01


Ein vergessenes Denkmal

Im Jahr 1804 wurde dieser Grenzstein am Ufer des Steinbachs bei Neureuth gesetzt. Karlheinz Seyerlein hat ihn wieder entdeckt und die Geschichte von 100 Grenzsteinen erlebbar gemacht.

Im Jahr 1804 wurde dieser Grenzstein am Ufer des Steinbachs bei Neureuth gesetzt. Karlheinz Seyerlein hat ihn wieder entdeckt und die Geschichte von 100 Grenzsteinen erlebbar gemacht. Foto: am

Karlheinz Seyerlein hat die Grenze von Schillingsfürst zu Preußen reaktiviert

Für manche mag es nur ein alter Stein sein. Für Karlheinz Seyerlein ist er ein Herzensanliegen. Vor genau 216 Jahren ließ Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. exakt 100 Grenzsteine mitten in unsere Landschaft setzen. Er wollte eine klare Grenze ziehen zwischen seinem Reich und dem Gebiet der Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst.

Zwei Jahre später kam Napoleon und schrieb die Geschichte neu. Niemand interessierte sich seitdem mehr für die Grenzsteine. Bis Karlheinz Seyerlein sich in den 80er Jahren aufmachte, diese historische Grenze zu erkunden. Seit 2018 ist die einstige Landesgrenze zwischen Brandenburg-Ansbach und Hohenlohe-Schillingsfürst wieder vollständig rekonstruiert.

Karlheinz Seyerlein hat langen Atem bewiesen. Ordnerweise hat er fotokopierte Dokumente aus der Zeit von 1792 bis 1804: Vorverträge, Schriftverkehr, vom Kaiser unterzeichnete Abmachungen. Nichts dürfte ihm entgangen sein. Auch wenn die Preußen bekannterweise mit ihren Gegenspielern nicht zimperlich umgegangen sind, mit den Schillingsfürster Fürsten hat es gut geklappt. „Den geschlossenen Vertrag sehe ich als vorbildlich an“, sagt er.

Karlheinz Seyerlein, geboren 1940 in Leutershausen, ist heimatverbunden. Sein Elternhaus, die Metzgerei Seyerlein, liegt mitten im Ortskern. Mit 14 Jahren begann er eine Ausbildung bei der Sparkasse in Leutershausen und stieg dort bis zum Geschäftsstellenleiter auf. Dann wechselte er zur Sparkasse nach Ansbach und war als Kreditbereichsleiter für gewerbliche Kunden zuständig. „Da kommen Berufsjahre zusammen“, sagt er schmunzelnd. Nach 49,5 Dienstjahren ging er 2003 mit 63 Jahren in den Ruhestand. Von Ruhe wird in der Folgezeit aber nicht die Rede sein.

Historischen Wegen folgen

„Während meiner Bundeswehrzeit in Oberdachstetten bin ich auf topografische Karten unserer Region gestoßen“, erzählt er. Im Jahr 1969 umrundete er erstmals Leutershausen anhand dieser Karten. Danach leitete er regelmäßig Wanderungen mit Bekannten auf historischen Pfaden. Bis zu 50 Kilometer am Tag hat die Gruppe gemeistert und Gemeinden umrundet, den Hadrianswall zwischen England und Schottland erkundet, den Wasserscheideweg noch lange vor dessen touristischer Erschließung entdeckt. Das Aufspüren der Vergangenheit war immer Triebfeder des Naturerlebnisses.

Im Jahr 1984 kam Seyerlein erstmals in Kontakt mit der Geschichte der Grenze zwischen den beiden Fürstentümern Brandenburg-Ansbach und Hohenlohe-Schillingsfürst. Er fand die alten Grenzsteine mit den Markierungen „HG“ und „PG“ an zwei Seiten. „Keiner wusste was das bedeutet“, erinnert er sich, „Weder Heimatkundler, alte Siebener oder geschichtsinteressierte Lehrer.“ Über Claus Broser, damals zuständiger Heimatpfleger für die Region Leutershausen, bekam Seyerlein den Kontakt zu Archiven, u.a. dem Hohenloher Zentralarchiv Neuenstein, und stieß auf die historischen Dokumente.

Auf Spurensuche

Er hat sich akribisch eingearbeitet und ist gemeinsam mit seinen Wanderfreunden die historische Route so lange abgegangen, bis alle Grenzsteine gefunden oder die Stellen der abgegangenen Steine lokalisiert waren. „Das hat sich über Jahre entwickelt“, erklärt Karlheinz Seyerlein.

Es gab keine historische Karte, in der die Grenzsteine verzeichnet waren. Also zog die Gruppe nach Beschreibungen, die 1798 festgelegt wurden, über Feld und Flur und suchte die Markierungen. Die Steine waren mitunter zugewachsen, umgekippt oder versunken. Durch die Flurbereinigung waren manche gänzlich verschwunden. „Der Staat hat sich nicht um die Steine gekümmert“, so Seyerlein. Sie hatten ja keine Bedeutung mehr. So ist mancher steinerne Zeitzeuge in private Hände gewandert. Noch immer versucht Seyerlein mit diplomatischem Geschick die verschwundenen Steine, von denen es noch eine Spur gibt, zurückzuholen.

Insgesamt 73 Originalsteine waren noch vorhanden. Bei der Rekonstruktion der Landesgrenze haben sich die Siebener der angrenzenden Gemeinden engagiert. Siebener-Obmann Erwin Keitel aus Hagenau und Siebener-Obmann Walter Wirth aus Schorndorf organisierten den Einsatz von rund drei Dutzend Siebenern, um an der alten Grenze die Steine zu renovieren und wieder aufzurichten.

Seyerlein hat als Organisator und unermüdliche Triebfeder des Projektes auch die angrenzenden sieben Gemeinden aktiviert. Diese haben die Anfertigung von sieben Kopien von abgegangenen Grenzsteinen finanziert. Außerdem konnten sieben Infotafeln mit Geldern aus dem EU-Leader-Programm aufgestellt werden. Zusätzlich gab es drei private Spender.

Etwa acht Jahre lang war das Projekt sein „Ruhestandsjob“, erzählt Seyerlein. Nun gibt es nicht nur eine gedruckte Karte mit allen eingezeichneten 100 Grenzsteinen, sondern auch die Internetseite www.grenzcommissaire.de mit aktuellen Infos zum Grenzwanderweg. Und dazu gehört natürlich die Geschichte – das Herzstück des gesamten Projekts: Im Jahr 1791 geht das Markgrafentum Brandenburg-Ansbach an Preußen. Der Kaiser macht den preußischen Minister August von Hardenberg zum Statthalter. „Der war ein großer Reformer und wollte aufräumen“, so Seyerlein. Die fortschrittlichen Preußen trafen auf ein verschachteltes Herrschaftsgebiet. In einem Dorf gehörten ein Hof zu Ansbach, ein anderer zu Schillingsfürst oder Rothenburg. Es gab keine Staats- und Landesgrenzen, nur Fraischgrenzen, die einzig für die Gerichtsbarkeit bei schweren Verbrechen wie Mord zuständig waren. Alle anderen Vergehen regelten die Grundherren.

Hardenberg wollte Ordnung und den preußischen Besitz in ein geschlossenes Territorium, ohne fremde Untertanen, umwandeln. Die Schillingsfürster, durch den Schlossneubau (1723 – 1750) in Geldnöten, waren zugänglich und so gelang der Vertrag. Nach dem Vorvertrag im Jahr 1797 wurde die 26,6 Kilometer lange Grenze verpflockt. Für die Schillingsfürster, die sich dem ungleich größeren Preußen gegenüber sahen, dennoch eine schwierige Situation. Am 24. November 1803 wurden 122 Hohenlohe-Schillingsfürstische Untertanen an Preußen übergeben. Am Tag darauf erfolgte – ebenfalls in Schillingsfürst – die Übergabe von 65 Preußischen Untertanen an das Fürstentum Hohenlohe-Schillingsfürst.
Vom 16. bis 18. August 1804 wurde die neue Landesgrenze versteint. Ein Grenzriss (detaillierte Karte) sollte angefertigt werden, aber dazu kam es wohl nicht. „In den einschlägigen Archiven in Neuenstein, Nürnberg und Berlin ist der Riss nicht auffindbar“, weiß Seyerlein. Schon zwei Jahre später war durch Napoleons Beitritt zum Rheinbund die Grenze obsolet und geriet in Vergessenheit.
Karlheinz Seyerlein hat sie als erlebbares Denkmal zurückgeholt und zusätzlich die historischen Abläufe akribisch aufgearbeitet. Er hat Abhandlungen darüber geschrieben, hält Vorträge, ein Buch soll erscheinen und die Route ist auf der grenzcommissaire-Webseite mit GPS-Daten abrufbar.

Erfolgreicher Sportler

Mit 80 Jahren macht Seyerlein noch kein bisschen langsam. Die Rekonstruktion der historischen Grenze ist nur ein Meilenstein, denn aktuell mischt er als Leichtathlet in der deutschen Spitzenklasse mit. „Ich habe zurzeit die Form meines Lebens“, stellt er fest. Seit über 60 Jahren ist er aktiver Sportler, ist seit 63 Jahren Mitglied im TV Leutershausen, war 11 Jahre Vorsitzender und ist seit 31 Jahren Übungsleiter einer gemischten Gymnastikgruppe.

Noch immer trainiert er viermal die Woche vorwiegend in den Fünfkampf-Disziplinen Weitsprung, Speerwurf, 200-Meter-Lauf, Diskuswurf und 1500-Meter-Lauf. Überregional macht er seit Ende der 90er Jahre auf sich aufmerksam, als er zu den Senioren wechselte. Im letzten Jahr, noch in der Altersklasse M 75, hat er die bayerische Bestenliste angeführt und stand auf der Liste des Deutschen Leichtathletikverbands an den vordersten Stellen.

In diesem Jahr, mit 80 Jahren, kam dann sein größter Erfolg: Bei den Hallenmeisterschaften in Erfurt holte er im 200-Meter-Lauf mit 33,15 Sekunden seinen ersten Deutschen Meistertitel. „Die, an die ich früher nicht ’rankam, haben abgebaut“, erklärt er, „Aber ich habe meine Form gehalten.“

Wie macht er das? „Lauftraining mache ich nur auf dem Rasen“, sagt er. Auf der Kunststoffbahn läuft er nur bei Wettkämpfen. Außerdem muss das Training regelmäßig und ausgewogen sein. Man müsse aufpassen, nicht zu viel zu machen. Eine Trainingseinheit bei Karlheinz Seyerlein geht über 1,5 Stunden und beinhaltet alle Disziplinen. Darauf folgt ein Ruhetag. Er hat einen Schlüssel zum Stadion in Leutershausen und trainiert für sich alleine. „Außerdem könne man viel Bewegung im Alltag einbauen“, gibt er zu bedenken. Treppe statt Lift, zu Fuß zum Einkaufen usw..
Die Kontinuität zahlt sich aus: Karlheinz Seyerlein hat seit 62 Jahren jedes Jahr das deutsche Sportabzeichen in Gold abgelegt. „Ich habe kein Jahr ausfallen lassen“, sagt er mit Nachdruck.

Aktuell hat Corona die Wettkampfsaison ausgebremst. „Nach zwei Hallenwettkämpfen war Schluss“, so Seyerlein. Nun hofft er auf den Spätsommer, denn er würde sich in seiner Bestform und in der neuen Altersklasse M80 gerne noch beweisen. am