Ein Haus mit Werten Nov07


Ein Haus mit Werten

Die Tagungsstätte Wildbad geht nachhaltig in die Zukunft

Die Kirche als Institution hat nicht gerade die besten Jahre hinter sich. Im Kontext globaler Herausforderungen ist Überzeugungskraft und ein glaubwürdiges Konzept gefragt. Das Wildbad aber hat diese Stärken. „Die Tagungsstätte Wildbad hat 2019 ein sehr erfolgreiches Jahr“, sagt Stephan Michels, wirtschaftlicher Leiter des Hauses und Stellvertreter von Dr. Wolfgang Schuhmacher, Pfarrer und Leiter der Tagungsstätte.
Das Wildbad ist ein Haus der evangelischen Landeskirche Bayern (ELKB). Seit über 35 Jahren betreibt die Kirche das stimmungsvolle Jugendstilensemble vor den Toren Rothenburgs. Länger als jemals ein anderer Hausherr.
Erbaut wurde das Wildbad von Hofrat Friedrich von Hessing und im Juni 1903 als Kurhotel eröffnet. Die damaligen Heilquellen, die Lage direkt an der Tauber und die Nähe zur aufstrebenden Touristenstadt schienen günstig.

ROTOUR Rothenburg: Wildbad Rothenburg, Stephan Michels

Stephan Michels an der Brücke, die über die Tauber führt. Dahinter erhebt sich die Tagungsstätte Wildbad. Foto: am

Öffnung als Zukunftsperspektive
Wirklich dauerhafter Erfolg stellt sich aber nicht ein: Die Besitzverhältnisse wechselten mehrmals, von der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger über einen Großindus­triellen bis hin zur Polizei, einem Verlag und der Stadt Rothenburg. Erst in den 80er Jahren zog mit dem Engagement der Kirche Stabilität ein.
In den Anfangsjahren schien die Arbeit vor Ort eher hinter verschlossenen Türen stattzufinden, bis nach der Jahrtausendwende eine bewusste Öffnung stattfand. Im Jahr 2010 erhielt das Wildbad von der ELKB den inhaltlichen Auftrag, in Zusammenarbeit mit dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Ort für Fragen der Wirtschaftsethik zu werden. Seitdem findet jährlich das Forum Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt statt.
Der frühere Leiter Pfarrer Herbert Dersch initiierte im Geiste der Öffnung das Sonntagscafé mit Kulturprogramm und das Wildbad rückte weiter in das öffentliche Bewusstsein. Seit Jahren findet hier nun das Elektrofestival „Sundowner“ statt, Hochzeiten werden ausgerichtet und Kongresse abgehalten.
Kurzum, das Wildbad steht heute mitten in der Gesellschaft. „Da wo Kirche hingehört“, fügt Stephan Michels an, der seit 2011 unter anderem für die Wirtschaftlichkeit zuständig ist.

Ohne Vorurteile
Bei einem Haus mit 58 Zimmern ist das nicht ganz einfach. Etwa 45 Mitarbeiter, 27 davon in Vollzeit, sind in den Abteilungen Küche, Hauswirtschaft, Service, Verwaltung und Rezeption beschäftigt. Ein einziger Gärtner ist auch darunter, der sich um den sechs Hektar großen Park kümmert.
Das Wildbad hat sich als Tagungsstätte sowohl für kirchliche Gruppierungen als auch bei weltlichen Interessenten etabliert. Am Eingang ist eine digitale Infotafel, die eine Übersicht über die Belegung des Hauses gibt. Die FSJler sind da, ebenso eine Chorgruppe oder Vertreter der Bundeswehr. Es finden Firmenveranstaltungen vom US-Konzern Procter & Gamble, von Electrolux, Ebalta oder Hakro statt. Die einen Singen, die anderen Tagen. „Kein Problem“, sagt Stephan Michels. Beim Mittagessen sitzen sie vielleicht Tisch an Tisch. Wer will, tauscht sich aus. Alle sind dabei angetan vom Ambiente. „Das Wildbad macht einfach etwas mit den Menschen“, so Michels.
Die Gäste werden über die unterschiedlichsten Kanäle auf die Tagungsstätte aufmerksam. In den Buchungsportalen hat das Wildbad beste Bewertungen, wer einmal auf einer Hochzeit hier eingeladen war, der empfiehlt es weiter.
Ein Hotel im klassischen Sinn ist das Wildbad dennoch nicht – und will es auch nicht sein. Die Zimmer haben bewusst keinen Fernseher, auch wenn sie alle neu renoviert sind. Als Haus der Kirche soll hier die Sinnhaftigkeit ganz bewusst einen Stellenwert haben.
Für die unterschiedlichen Ansprüche der Gruppen stehen Theatersaal mit Bühne und Platz für bis zu 350 Personen oder der Rokokosaal mit Jugendstil-Fenstern und Barock-Stuckdecke für etwa 100 Gäste zur Verfügung. Dazu kommen weitere Tagungsräume und der blaue und rote Salon für gemütliche Abendstunden beim Kaminfeuer. Und weil es gut läuft, werden im kommenden Jahr 30 000 Euro in neue und moderne Tagungstechnik investiert.

Rotour Rothenburg: Sonnenuntergang Wildbad Rothenburg

Die Sonne geht hinter dem Wildbad unter: Schöner geht es wohl kaum. Foto: Privat

Die Öffnung des Tagungshauses ist trotz der Wirtschaftlichkeit, die auch im kirchlichen Kontext eine wichtige Rolle spielt, nicht auf Kosten der christlichen Wertvorstellungen gegangen. Nachhaltigkeit, mittlerweile zum Trend geworden, ist hier schon seit Langem das ausgewählte Konzept. Bereits seit 2015 ist die Tagungsstätte Wildbad EMAS zertifiziert. EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) ist ein von der EU entwickeltes Instrument für Unternehmen, die ihre Umweltleistung verbessern wollen. Energie- und Ressourceneinsparung, Materialeinsatz, Stromverbrauch, Abfallmenge und vieles mehr werden kontrolliert und verbessert. „Mit der Zertifizierung möchten wir unsere interne Haltung auch nach außen tragen und sichtbar machen“, so Stephan Michels.

Innere Haltung auch beim Essen
Betrifft EMAS eher den technischen Ablauf im Tagungshaus, so ist das entsprechende Pendant in der Küche der Weg Richtung Bio. Michels ist stets auf der Suche nach dem besten, nachhaltigen Produkt, wenn möglich in Bio-Qualität. Seit zwei Jahren gibt es im Wildbad nur noch Geflügelfleisch in Bio-Qualität, ebenso sind die Eier alle bio.
Die Haltung gegenüber den Lieferanten ist Stephan Michels dabei besonders wichtig und er schätzt die Verlässlichkeit langjähriger, ausgewählter Partnerschaften. „Was im Wildbad auf den Teller kommt, soll durchdacht sein“, erklärt er. Wurst und Fleisch kommen von einem regionalen Metzger, der eine eigene Rinderzucht hat.
Die Menüauswahl für Tagungsgäste oder bei Feierlichkeiten kann es mit den besten Restaurants aufnehmen und die optische Präsentation der Speisen hat nichts mit protestantischer Nüchternheit zu tun. Leib und Seele dürfen sich in der Tagungsstätte Wildbad im Einklang befinden.

Ein Programm für Geist und Seele
Dafür sorgt auch das eigene Veranstaltungsprogramm, das Wildbadleiter Dr. Wolfgang Schuhmacher initiiert hat. Nach dem ersten großen Erfolg wird es vom 17. bis 23. Januar 2020 die zweite Hildegard-Woche geben. Leben, Werk, Gesundheit, Ernährung und praktische Tipps rund um Hildegard von Bingen vermittelt ein erfahrenes Referententeam, kombiniert mit spirituellen Komponenten.
Mit der Singwoche (5. bis 9. April), die sich gleichsam an Studenten, Chorverbände oder Sangesfreudige wendet, wird die christliche Singtradition gepflegt. Mit der Veranstaltung „Body and Soul – Grundformen leiblicher Spiritualität“ (24. bis 26. Juli) stellen Dr. Wolfgang Schuhmacher und Pfarrer Dr. Oliver Gußmann die Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele her.
Auch das seit drei Jahren laufende Art-Residency-Projekt hat das Profil der Tagungsstätte geschärft. Renommierte Künstler arbeiten mehrere Monate vor Ort und das im Wildbad entstandene Kunstwerk verbleibt danach dauerhaft im Park. Der Skulpturengarten hat bereits drei Objekte, sieben sollen noch folgen. Mit der Installation der brasilianischen Künstlerin Laura Belém, die Nora Gomringer zur Mitarbeit gewinnen konnte, zog Interna­tionalität ein. Am 4. April, um 17 Uhr, findet die Katalogpräsentation „The … Element“ mit Laura Belém und einem Liveauftritt von Nora Gomringer statt.
Nachhaltigkeit, die Nähe zu den Menschen und die Auseinandersetzung mit der Sinnhaftigkeit sind daher nicht nur wertvolle Ansätze im kirchlichen Kontext, sondern bestimmen das Arbeiten, Leben und Tagen in der Tagungsstätte Wildbad seit langem. 
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