Das bewegte Leben der Tango-Queen Sep01


Das bewegte Leben der Tango-Queen

Der Herr verbeugt sich, seine Partnerin vollführt eine elegante Drehung. Einträchtig tanzt das Paar, bis sich die Dame mit stolzem Blick von ihm löst. Er lockt sie zurück. Am Ende dieses spannungsvollen Tango Argentinos trägt der Herr die Dame auf Händen. Der einminütige Videoclip entstand vermutlich vor einem knappen Jahrzehnt und ist auf Youtube abrufbar. Die Tänzerin ist Ute Frühwirth, eine feste Größe in der deutschen Tango-Argentino-Szene. „Tango-Queen“, nennen sie ihre Schüler. Rote Haare sind ihr Markenzeichen.
Die 80-Jährige lebt im hohenlohischen Langenburg-Unterregenbach und Stuttgart. Daher hat ihre Tanzschule „Tango Vorstadt“ zwei Standorte. Im ersten Stock des alten Schulhauses in Dünsbach bei Gerabronn richtete sie 2005 einen Saal stilecht ein, mit Schwingboden für eine bessere Federung.

Leidenschaft seit 35 Jahren
Langsam steigt sie dort die Treppe hinauf. Das Alter ist nicht ganz spurlos an Ute Frühwirth vorbeigegangen. „Es zwickt und zwackt“, verrät sie. Aber ihre Leidenschaft für den Tango lodert weiter, wie das Olympische Feuer. Und das seit 35 Jahren. Wie vielen Schülern sie schon Tango Argentino beigebracht hat, kann sie nicht sicher sagen. „Die Zeitung hat mal geschrieben über 10 000.“
Als junge Frau absolvierte sie die klassische Ausbildung zur ADTV-Tanzlehrerin (Allgemeiner Deutscher Tanzlehrerverband) und unterrichtet in der Frankfurter Tanzschule ihrer Tante Erna. Später übernahm sie sogar die Leitung. Als Ute Frühwirth einen Nichttänzer heiratete, hängte sie die Tanzschuhe an den Nagel und wechselte in die Werbeagentur ihres Mannes. Doch die Tanzbegeisterung flammte beim Besuch einer Tango-Argentino-Ausstellung in Berlin wieder auf. Dort traf sie Tänzer aus Buenos Aires, die im Pariser Exil lebten. „Da war ich so begeistert und hab‘ gesagt: Ich werde jetzt ‘ne Tango-Argentino-Schule aufmachen“, lacht sie. Gesagt, getan!

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Renommierte Tanzlehrer und Paare waren schon bei Ute Frühwirth zu Gast. Fotos: sab

Mit dem Nachtzug nach Paris
An den Wochenenden fuhr sie mit dem Nachtzug in die französische Hauptstadt und lernte bei ihren neuen Bekannten die Schritte. Sie wollte sich auf diesen südamerikanischen Tanz im Vier-Achtel- oder Zwei-Viertel-Takt konzentrieren, der Sehnsucht, Sinnlichkeit und Erotik ausstrahlt.
1983 veranstaltete Ute Frühwirth ein erstes aufsehenerregendes Tangofest und gründete zwei Jahre später ihre Tanzschule „Tango Vorstadt“. Mit Prospekten und Plakaten lud sie zur Schnupperstunde in eine alte Stuttgarter Fabrikhalle, die etwas außerhalb der Stadt lag. „Die Leute waren sehr interessiert“, erinnert sie sich. Ute Frühwirth hatte den Tango Argentino nach Stuttgart gebracht. Laut der Stuttgarter Zeitung entstand daraus eine der größten Tango-Gemeinden in ganz Deutschland. Sogar das Fernsehen kam vorbei. Ihre Tanzfeste mit Livemusik und Vorführungen von Tänzern aus Buenos Aires waren legendär. Sie lud renommierte Vertreter der Branche ein, wie Antonio Todaro, von dem sie viel gelernt hat.. Dreimal besuchte sie selbst die argentinische Hauptstadt.
Mittlerweile hat sie für die Zeit der Kurse in der Schwabenme-
tropole nur noch einen Raum angemietet. Ihr gesamtes Mobiliar befindet sich nun in Dünsbach. „Jetzt ist es ’n richtiger Tangosalon geworden“, lacht sie. Erinnerungsstücke aus 35 Jahren Tango Argentino sind hier vereint.
Die Tango-Queen deutet auf ein Foto an der Wand neben der Bar: „Das war mein erstes Paar.“ Zwischen goldfarbenen Lüstern hängen gerahmte Filmplakate und Ankündigungen zurückliegender Feste. Charmante Accessoires wohin das Auge schaut: samtüberzogene Tanzschuhe vom Flohmarkt, Plastikblumen und Kissen mit Gepardenmuster. Ein wohldosierter Hauch von Verruchtheit erinnert an die Anfänge des Tango Argentinos. Der Tanz entstand Ende des 19. Jahrhunderts am Fluss Rio de la Plata zwischen Buenos Aires und Montevideo. Damals wanderten viele Ausländer in diese Gegend ein.
„Die Spanier brachten ihren stakkatohaften Flamenco mit, die Italiener ihre Canzone. Das hat sich mit afrikanischen Elementen vermischt“, weiß Ute Frühwirth. Deutsche hatten das Bandoneon im Gepäck, ein quadratisches Schifferklavier. Es etablierte sich als typisches Tangomusik-Instrument.

Tango zum Vergnügen
Die Einwanderer manifestierten tänzerisch ihren Alltag, der geprägt war von Abschied, Not, Gewalt und dem Wunsch nach Zärtlichkeit. „Man sagt, der Tango sei im Bordell geboren. Sonst war es ja verboten, eine Frau zu berühren“, schildert Ute Frühwirth. Deshalb trafen sich die Leute in den Vergnügungsvierteln.
Um das Jahr 1910 kam der Tango nach Europa. Dort galt er zunächst als anstößig. Laut Frühwirth glich ihn ein Londoner Choreograph an die gesellschaftlich akzeptierten Standardtänze an. Die entschärfte Variante lehren die Tanzschulen heute noch in den gängigen Grundkursen. Die Form ist reglementierter, die Figuren festgelegter, während die Paare beim traditionellen Tango Argentino eher improvisieren.
„Der Mann fordert die Frau durch Zwinkern auf“, erklärt Ute Frühwirth. Er übernimmt die Führungsrolle. Die Frau lässt es zu, ohne sich aufzugeben und setzt Akzente mit Figuren wie Boleos und Ganchos. „Es entsteht ein Spiel, das sehr interessant ist“, beschreibt die Tango-Queen. Jeder Tanz ist wie eine kleine Romanze.
Sie unterrichtet alle Altersklassen. „Mein jüngster Schüler hat mit 17 angefangen, der älteste ist jetzt 75“, schätzt Ute Frühwirth. In ihren Kursen legte sie den Grundstein für mehrere Ehen. „Aber ich glaube, es sind dabei auch welche auseinandergegangen“, sagt sie. Die Frauen ließen sich nicht führen und redeten ihren Männern drein, bis die Situation eskalierte. Bei Thomas Blumenstock (57) aus Beilstein und seiner Ehefrau Ute Heckmann (58) war es umgekehrt: „Der Tango Argentino hat unsere Ehe gerettet.“ Seit sechs Jahren tanzen sie jeden Donnerstag in Dünsbach.
Mit von der Partie sind weitere begeisterte Paare. Jedes von ihnen interpretiert den Tango Argentino auf eigene Weise. Manche legen mehr Wert auf Präzision, andere geben sich ganz der Musik hin. Jeden ersten Samstag im Monat treffen sie sich zusätzlich zum Tanztee.
Ute Frühwirth will unterrichten, solange es geht. „Niemals aufgeben“, lautet die Devise der Tango-Queen. Die Flamme ihrer Leidenschaft für den Tango Argentino brennt unauslöschlich.
sab