Uhren für die Ewigkeit Mrz10


Uhren für die Ewigkeit

Turmuhrenbauer Robert Dürr ist einer der Letzten seines Standes

Ein jeder kennt sie, ein jeder hat sich schon einmal daran orientiert, jedes Dorf hat eine und je größer die Städte, desto imposanter und schmuckvoller sieht sie aus: Die Rede ist von den Uhren auf Kirch-, Tor- und Schlosstürmen. Turmuhren waren die ersten mechanischen Uhren und kamen gegen Ende des Mittelalters auf. Der Turmuhrbauer wurde damals zum gesuchten Spezialisten. Die Familie Dürr ist eine der we­nigen, vielleicht sogar die letzte, die die Tradition des historischen Turmuhrenbaus noch pflegt und gleichzeitig den Blick für die Moderne geschärft hat.

Die schmiedeeiserne Uhr im Burgtorturm stammt aus dem 17. Jahrhundert. "Vielleicht auch früher", meint Robert Dürr.  Fotos: am

Die schmiedeeiserne Uhr im Burgtorturm stammt aus dem 17. Jahrhundert. „Vielleicht auch früher“, meint Robert Dürr. Fotos: am

Ein Handwerk ohne Zunft

Robert Dürr, 82 Jahre alt, ist gelernter Turmuhrenbauer. So stand es im Abschlusszeugnis seiner Lehre. Im Jahr 1947 begann er bei Leonhard Holzöder die Ausbildung, der in zweiter Generation den Turmuhrenbaubetrieb in Rothenburg führte und dessen Vater 1910 die Kunstuhr für Rothenburg gebaut hatte. Offiziell hieß der Lehrberuf damals „Mechaniker“. Obwohl der Turmuhrenbau eine lange Tradition hatte, gab es nie eine eigene Zunft.

„Meine erste Aufgabe als Lehrling war, die Fahrräder flott zu machen“, erzählt er schmunzelnd. Der Lehrherr Holzöder und sein Lehrling fuhren nach dem Krieg damit bis nach Miltenberg. Ihr Handwerkszeug hatten sie in Rucksäcken dabei. Vor Ort haben sie die Turmuhren gewartet und repariert. „Haben wir Ersatzteile gebraucht, sind wir zum örtlichen Schmied gegangen“, erinnert sich Robert Dürr.

In Rothenburg, in der Köhlerstraße, war die Firmenbasis, das „Holzöderhaus“. Hier brannte in der heimischen Schmiede noch das Feuer. Robert Dürr hat hier den Blasebalg gezogen und das Schmieden gelernt. Aber nicht nur das Schmieden gehörte zum Handwerkszeug eines Turmuhrenbauers. Turmuhrenbauer waren und sind breit aufgestellt: Das Handwerk des Schlossers, Klemptners und Malers gehört ebenso dazu wie die Kunst des Fräsens, Drehens oder Vergoldens. In der Neuzeit kamen noch Elektrik und Elektronik dazu.

Jeden Morgen auf den Turm

Der Alltag von Robert Dürr als Lehrling begann mit dem morgendlichen Aufziehen der Turm­uhren in Rothenburg. „Die genaue Uhrzeit habe ich mir von der Bahnhofsuhr geholt“, erzählt er. Dann hat er die Hälfte der Turmuhren in Rothenburg (Burgturm, Weißer Turm, Klingenturm und Marktplatz) aufgezogen, der Lehrherr kümmerte sich um die Uhren im Hegereiterhaus, im Sieberts­turm und Markusturm. Um 9 Uhr hatte Rothenburg dann überall die richtige Zeit. Bis weit in die 60er Jahre hinein wurden die Turmuhren alle per Hand aufgezogen.

Robert Dürr, der 1959 den Betrieb der Firma Holzöder übernommen hat, hat in seiner Lehrzeit und auch später noch selbst mechanische Turmuhren gebaut. Nach dem Krieg wurden für den Weißen Turm und den Markusturm Uhren gebaut, später für Faulenberg und die Detwanger Kirche. „Das war stets etwas Besonderes“, erinnert er sich. War die Uhr fertig, stellten sich alle Beteiligten der Rangordnung folgend um die Uhr auf und ein Fotograf kam, der den Moment festhielt. „Ab etwa 1850 wurden die Einzelteile wie Zahnräder und Füße der Turmuhren nicht mehr geschmiedet, sondern in Serie gegossen“, erklärt Robert Dürr. Als Vorlage für den Guss benutzte man Holzmodelle. Robert Dürr und seine Söhne Gernot und Günter, die die Familientradition gemeinsam weiterführen, haben die „Holzöderschen“ Modelle aufgehoben. „Wir wären daher noch in der Lage, eine alte mechanische Turmuhr zu bauen“, sagt Robert Dürr, und sein Sohn Gernot nickt begeistert. Die Faszination ob dieser Idee ist beiden ins Gesicht geschrieben.

Die „Neuzeit“ im Turmuhrenbau brach in den 60er Jahren an. In Rothenburg hatte die Kunstuhr eine Vorreiterrolle. Das tägliche Aufziehen schien zu beschwerlich, eine „moderne“ Lösung musste her. Robert Dürr hat dann ein automatisches Aufzugsgetriebe entwickelt. „Das war ein großer Umbruch“, sagt er. Die anderen Uhren wurden nachgerüstet. Die alte Uhrtechnik, rein mechanisch, wurde mit einer Art Nachrüstsatz der Zeit angepasst. Weiter ging es mit der Entwicklung von Läuteanlagen und Glockentechnik. Die Uhren auf den Türmen sollten nun sekundengenau ticken, die Glocken sollten läuten ohne dass man an Seilen ziehen muss. Moderner, einfacher, praktischer war die Prämisse.

Robert, Gernot und Günter Dürr sind mit der Zeit gegangen. Das alte Handwerk und die Anforderungen der Moderne ergänzen sich. Je nach Wunsch der Kunden können sie alte Turmuhren zum Beispiel mit einer Pendelsynchronisa­tion sekundengenau ticken lassen. Ein Flaschenzug mit Lichtschranke ersetzt die Fallhöhe des Pendels, die sonst für einen Tagesrhythmus etwa 15 Meter freien Fall im Turm voraussetzt. Oder digitale Funkhauptuhren können Zeit, Läuteanlage oder Glockenspiel zentral steuern.

Gernot Dürr erklärt eine Holzöder-Uhr von 1910.

Gernot Dürr erklärt eine Holzöder-Uhr von 1910.

Etwa 1000 Kunden betreut die Familie Dürr im Bereich der Wartung, der Restaurierung und Modernisierung, vorwiegend in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in der Schweiz. „In den 70er Jahren wurden viele alte Turmuhren abgebaut und zum Schrotthändler gebracht“, sagt Gernot Dürr. Das Bewusstsein, eine alte Handwerkstechnik auch als Kuturgut zu bewahren, war damals noch nicht vorhanden. Mittlerweile arbeitet die Firma Dürr eng mit den Denkmalämtern zusammen, und „wer heute so eine alte Uhr besitzt, der ist stolz darauf“, so Gernot Dürr.

Altes Handwerk kommt immer mehr

Etwa 80 Prozent der Unternehmensleistung erbringt die Familie Dürr im Bereich des modernen Handwerks, bei rund 20 Prozent – Tendenz steigend – ist die alte Handwerkskunst gefragt. „Der technische Fortschritt gehört in unserem Beruf dazu, aber wir brauchen auch das alte Handwerk“, erklärt Gernot Dürr. Die Zeiger der Turmuhren werden nach wie vor per Hand aus Kupfer getrieben und dann vergoldet. Drehen, Fräsen, Schweißen gehört zum Alltag.

„Die meisten noch vorhandenen Uhren gehen ja in den Türmen kaputt“, erklärt Robert Dürr. Sind die Uhren nicht in Betrieb, dann verrosten die Wellen, die Zähne korrodieren. Nur wenn die Uhr läuft, erhält sie sich. „Dieses ruhige Ticktack ist doch herrlich“, sagt Robert Dürr nachdenklich.

Auch in Rothenburg stehen noch einige Schätze in den Türmen: Die Turmuhr der Berufsschule ist noch voll in Betrieb, ebenso die Turmuhr der Luitpoldschule. Die Uhr im Burgtorturm ist leider stillgelegt, und dann gibt es noch die schmiedeeiserne Uhr von 1684 in der Rats­trinkstube. „Als Lehrling habe ich die noch aufgezogen“, erinnert sich Robert Dürr und fügt an: „Die Uhr hatte bis 1806 noch ein drittes Ziffernblatt mit 16 Stunden. Eine Besonderheit.“ Momentan ist sie stillgelegt. „Die könnte man aber wieder richten und dann mit Unterstützung von moderner Technik laufen lassen“, sagt der Turmuhrenbauer.    am