Reise voller Überraschungen  – Abenteuerlustige Familie aus Reutsachsen hat die Panamericana erobert Okt01


Reise voller Überraschungen – Abenteuerlustige Familie aus Reutsachsen hat die Panamericana erobert

Vor der „Haustür“ erwartete sie immer wieder ein neuer Garten: Familie Schmitt aus Creglingen-Reutsachsen reiste ab Juni 2015 auf der Panamericana von Alaska nach Feuerland. Zwei Jahre lebten sie in einem grünen Mercedes Kurzhauber, den sie liebevoll „Frosch“ nennen. Auf 97 000 Kilometern begegneten die Schmitts in 19 Ländern den unterschiedlichsten Menschen, entdeckten einheimische Tierwelten und bestaunten atemberaubende Naturschauspiele. Die größte Überraschung war jedoch ihr zweites Kind Levi, das sich kurz nach Beginn des Trips ankündigte. Schwesterchen Romy war gerade zwei Jahre alt geworden. Trotz anfänglicher Bedenken setzten sie die große Fahrt fort. Der Kleine kam unter der Sonne Mexikos zur Welt, lernte in Ecuador krabbeln und in Argentinien das Laufen.

Zeit für die Familie

Über dem Vorhaben stand das Anliegen, viel Zeit mit der Familie zu verbringen, was aus beruflichen Gründen oft zu kurz gekommen war. „Da haben wir uns einfach die längste Straße der Welt ausgesucht“, erzählt Thorben Schmitt (34). Nicht jeder ist für eine solche Reise geschaffen. Die Voraussetzungen sind eine ordentliche Portion „Mut, Neugierde und ein bisschen Abenteuerlust“, sagt Michaela Schmitt (39).
50 000 Euro kostete das Ganze insgesamt. Um ihr Vorhaben zu finanzieren, hatten der Programmierer und die Steuerfachangestellte fünf Jahre lang kräftig gespart. Neben der Arbeit schoben sie Nachtschichten, verzichteten auf Luxusgüter und verkauften Dinge, die sie nicht mehr brauchten.
Ihr Fahrzeug wählten sie bewusst aus. Der Mercedes LA 911 B aus dem Jahr 1980 kommt ohne Computer und Steuergerät aus. So stand eigenhändigen Reparaturen nichts im Weg. „Wir wollten einen Lkw mit Kratzern, Macken und Patina“, sagt Thorben Schmitt. „Egal wo wir hinkamen, haben uns Leute auf den ,Frosch‘ angesprochen“, lächelt seine Frau.

Mit ihrem Mercedes Kurzhauber „Frosch“ eroberte Familie Schmitt die Panamericana. Vor Rio de Janeiro parkten sie in der Nähe eines Flusses und machten es sich draußen gemütlich. Fotos: Privat


Magische Orte
Den Laster ließen sie in die Vereinigten Staaten verschiffen. Dann ging’s los! Zuerst nach Kanada. Michaela Schmitt schreibt in ihrem Buch „Die Ausreißer“, das sie nach der Rückkehr veröffentlichte: „Wir haben gelernt, anspruchslos zu sein, dem rauen Wind und der Kälte zu trotzen, mit wenig auszukommen und erfreuen uns an den Gaben, die uns die Natur schenkt. Wilde Himbeeren und Waldbeeren versüßen uns bei einer Wanderung den Nachmittag, bevor wir über morsche Brücken wieder auf der Hauptroute landen.“
Die Panamericana verließen sie häufig, um in den einzelnen Ländern auf Entdeckungsreise zu gehen. Als magischen Ort em-
pfand Thorben Schmitt den „Salar de Uyuni“ in Bolivien. Mit über 10 000 Quadratkilometern gilt er als größter Salzsee der Welt. „Ich hab‘ noch nie so eine Ruhe erlebt.“
Michaela Schmitt erinnert sich besonders gern an die Nordlichter in Alaska. „Auf einmal war die Milchstraße grün, hat sich bewegt und zog rasend schnell in Wellen über den Himmel.“ Die Kinder liebten die ständig wechselnden Umgebungen. Die meiste Zeit verbrachte die Familie draußen. Im „Frosch“ hatten sie nur acht Quadratmeter Platz. „Wir traten uns ständig auf die Füße“, blickt sie schmunzelnd zurück. „Die Privatsphäre war komplett weg“, bekräftigt er.
Das Essen grillten sie im Freien oder bereiteten es auf einem Spirituskocher zu. Baby Levi bekam statt Hipp-Gläschen frischen Brei aus Avocados, Papayas oder Bananen. „Was die Natur halt so hergab“, sagt seine Mama. Die Lebensmittelpreise unterschieden sich in den einzelnen Ländern enorm. Auf dem amerikanischen Kontinent kostete ein Glas Nutella 1,50 Dollar, in Ecuador waren es acht.
Ihre Stellplätze wählten sie nach Bauchgefühl – manchmal mitten in der Pampa. „Wir haben immer in Fluchtrichtung geparkt“, erklärt Michaela Schmitt. Bei Gefahr hätten sie schnell Reißaus nehmen können. Das war glücklicherweise nie notwendig. Mit ihrem Laster hatten sie aufs richtige Pferd gesetzt: Ohne Panne schaffte der „Frosch“ jede Klimazone bis auf 5 000 Höhenmeter, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 70 km/h.
In Südamerika schenkten die Menschen besonders den Kindern Romy und Levi große Aufmerksamkeit, nahmen sie auf den Arm und überhäuften die Geschwister mit Geschenken. Ausnahmslos in jedem Land fühlten sie sich als Gäste willkommen. Für ihr Töchterchen hatten Michaela und Thorben Schmitt eine Kiste mit Legos und Bücher gepackt. Am Ende spielten die Kinder lieber mit Stöckchen, Steinen und Muscheln. Romy lernte, sich mit ihren Spielgefährten in Deutsch, Englisch oder Spanisch zu unterhalten.
Wo’s am Schönsten war? „Überall“, sagt Michaela Schmitt. „Chile fand ich grandios, Peru ganz toll und Patagonien unglaublich.“ Ihr Mann ergänzt: „Jedes Land hatte etwas Besonderes. Vermisst haben sie nach eigener Aussage fast nichts. „Nur das Brot“, sagt Thorben Schmitt. Seine Frau ist froh, ihre Waschmaschine wiederzuhaben. Unterwegs wusch sie sämtliche Klamotten von Hand.

Nächstes Ziel: Seidenstraße
Gerne wäre die Familie weitergereist. „Aber es war gut, mal einen Schnitt zu machen“, findet sie. „Irgendwann ist der Kopf voll und du denkst: Schon wieder ein Wasserfall.“ Familie und Freunde wiederzusehen war schön. Aber die Interaktion mit Menschen in aller Herren Länder fehlt ihnen.
In ihrem Buch „Die Ausreißer“ verstrickt Michaela Schmitt persönliche Erfahrungen auf der Panamericana mit wissenswerten Informationen und Tipps. Es richtet sich an Reiselustige und Menschen, die einfach eine schöne Geschichte lesen möchten. Für ihre beiden Kinder soll es eine Erinnerung sein. Von den Reaktionen ist sie überwältigt. Nach einem Fernsehauftritt in der Talkshow von Markus Lanz kam sie mit dem Verschicken der Bücher kaum nach.
Im Frühjahr wollen die Schmitts ihre nächste Reise starten, die ein bis zwei Jahre dauern soll. Diesmal geht’s auf die Seidenstraße. Die genaue Route entscheiden sie spontan. Russland, die Mongolei und China möchten sie besuchen. Auf ihrem Blog www.hippie-trail.de hält Michaela Schmitt Interessierte auf dem Laufenden.
Romy ist inzwischen fünf Jahre alt. Der erste Schultag liegt in Sichtweite. Dann fallen die Abenteuer der Reutsachsener Familie voraussichtlich kürzer aus. Die Seidenstraße werden sie daher gewiss umso mehr genießen.
Draußen hupt das Backmobil. „Wir brauchen Brot“, ruft Thorben
Schmitt und eilt hinaus. sab

Info
Das Buch „Die Ausreißer“ ist erschienen unter der ISBN-Nummer: 978-3-00-059427-4.