Kirche der Schäfer Okt01


Kirche der Schäfer

Die St.-Wolfgangs-Kirche in der Klingenbastei

Von der einen Seite Kirche, von der anderen Seite Trutzburg: Die St.-Wolfgangs-Kirche nimmt auf eigentümliche Weise eine Sonderrolle ein. Sie ist Bestandteil der Klingentorbastei, fügt sich mit ihren fein gearbeiteten Kirchenfens­tern in das massive Halbrund der Befestigungsanlage ein – ist Kirche und Wehranlage zugleich. In der Umgangssprache nennen die Rothenburger sie „Schäferskirche“, denn es war die Rothenburger Schäferbruderschaft, die im 15. Jahrhundert alles daran setzte, hier eine Kirche zu erbauen.

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Ein Schatz macht’s möglich

Sagen ranken sich um die Entstehung. Ludwig Schnurrer zitiert im Jahrbuch der Vereins Alt Rothenburg von 1985/86 die Überlieferung der Sage, wie sie der Rothenburger Stadthistoriker Bensen im Jahr 1841 fixiert hat: „Ein alter Schäfer fand durch einen wunderlichen Traum einen Schatz. Den wendete er zur Stiftung des Betplatzes des Heiligen Wolfgangs, Schutzpatron der Schäfer, an.“

Ob es den Schatz gab, wer weiß? Die Existenz des Betplatzes aber ist historisch belegt. Im 15. Jahrhundert gab es einen gewissen Kult um den Schutzheiligen St. Wolfgang, den Patron der Holzhauer, Zimmerleute und auch der Hirten. Wallfahrtsorte (der berühmteste war St. Wolfgang am Abersee) und Kirchen entstanden im Zuge der Verehrung. In diese Zeit reiht sich auch die Entstehung der Schäferskirche in Rothenburg ein.

Allerdings kommt hier noch eine herausragende Persönlichkeit ins Spiel: der Wollhändler Michael Otnat (etwa 1425–1488). Er war der letzte Vertreter einer einflussreichen Rothenburger Familie. Sein Vater war Mitglied des äußeren Rates, die Familie hatte Grundbesitz in der Stadt und betrieb Handel. Michael Otnat selber heiratete nie. Rothenburg und die Region rund um die Frankenhöhe waren im Mittelalter eine der Hochburgen der Schafzucht und Otnat gilt als der Gründer und Initiator der Rothenburger Schäferbruderschaft und engagierte sich intensiv für den Bau der St.-Wolfgangs-Kirche.

Man muss sich vorstellen, dass vor den Toren der Stadt (zuerst stand dort nur das Klingentor) reges Leben auf dem Betplatz stattfand, Opfergaben wurden abgelegt, von Wundern war die Rede. Die Stadt und die bischöfliche Obrigkeit wollten daher einen geregelten Ablauf. Es wurde ein Bote nach Würzburg geschickt, und am 16. Oktober 1475 ordnete Bischof Rudolf in einer Urkunde an, dass der Verehrungsort bald möglichst geweiht werden soll, ein Tragaltar aufzustellen ist und Heilige Messen abgehalten werden. Der Bischof genehmigte somit die Errichtung einer Kapelle.

Nun kommt wieder Michael Otnat ins Spiel. Er hatte gute Verbindungen, gründete etwa zeitgleich die Schäferbruderschaft und sorgte dafür, dass Geld floss. An der Außenseite der Kirche, direkt über dem Eingang, weist eine Gründungsinschrift auf das Jahr 1475. Ludwig Schnurrer schreibt jedoch im Jahrbuch des Vereins Alt-Rothenburg, dass sich die Bauarbeiten sicherlich noch hinzogen. Im Jahr 1476 scheint es eine Überdachung des Platzes gegeben zu haben, danach starteten die Fundamentarbeiten. Im Jahr 1489 scheinen die Außenmauern gestanden zu haben, 1493 war der Innenraum wohl weitgehend fertig. Bis 1507 ist weiter an der Kirche gearbeitet worden, wie die Abrechnungen der St.-Jakobs-Bauhütte zeigen. Von 46 Steinmetzzeichen, die in der Schäferskirche zu finden sind, sind 14 identisch mit Zeichen von der Westempore der St.-Jakobs-Kirche, die etwa zeitgleich entstand.

Warum der Bau der so unscheinbar wirkenden St.-Wolfgangs-Kirche einen so immensen Aufwand bedeutete, wird deutlich, wenn die Doppelfunktion der Kirche ins Spiel kommt. Die Schäferbruderschaft wollte eine eigene Kirche, die Stadt wollte die Befestigung des Äußeren Rings vorantreiben. Da hat man beschlossen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, und die Kirche wurde in die Wehranlage sozusagen integriert. Aufzeichnungen überliefern, dass dereinst die ganze Gemeinde beim Kirchenbau mitgeholfen hat, was den Rückschluss zulässt, dass die Befestigung an der Klingentorbastei allen am Herzen lag.

Links neben dem Hochaltar führt heute eine unscheinbare Türe in die Tiefe. Im Jahr 1932 wurde der Zugang zu den Kasematten wieder instand gesetzt, und entführt all diejenigen, die sich auf eine reine Kirchenbesichtigung eingestellt hatten, in eine unbekannte Welt.  Insgesamt sechs Räume, der größte misst eine stattliche Höhe von fast fünf Metern, liegen unter der Kirche. Die Felsbrocken, grob und unbehauen, zeugen davon, dass sich hier Soldaten nur zur Verteidigung aufgehalten haben. Schießscharten öffnen das Mauerwerk, gaben die Möglichkeit zur Verteidigung der Nordseite der Stadtbefes­tigung. Ein direkter Zugang führt zum an die Kirche angebauten Turm, einst Aufenthaltsraum für die Soldaten und heute Museum des Vereins Historischer Schäfertanz.

Uwe Bach, Vorsitzender des Vereins, erklärt bei der Führung durch Kirche und Wehranlage, dass wohl von einem neben dem Treppenaufgang gelegenen Raum ein direkter Zugang zur Bronnenmühle im Taubertal (heute als Biergarten „Unter den Linden“ bekannt) geführt haben muss. Vom Turm aus kommt man zum Dach der St.-WolfgangsKirche, und von hier wie­derum auf den halbrunden Wehrgang der Klingentor­bas­tei, der auf die Stadtmauer führt. Kirche und Wehranlage sind sozusagen perfekt miteinander verschmolzen.

Auch wenn die St.-Wolfgangs-Kirche nie eine eigene Gemeinde hatte, so wurde sie doch als Kirche im eigentlichen Sinn betrieben. Durch betuchte Gönner verfügte die Schäferbruderschaft über ein gewisses Vermögen. Seit 1507 fanden in der St.-Wolfgangs-Kirche regelmäßig Messen statt. Bruderschaftsmessen wurden zu Bartholomäi, dem bedeutendsten Feiertag der Schäfer am 24. August, gelesen und zweimal wöchentlich für verstorbene Mitglieder der Bruderschaft.

Kunstvolle Altäre

Drei Altäre zieren den Kirchenraum: Der Marienaltar, heute im linken Seitenschiff der Kirche, war einst der Hauptaltar, bis er 1514 vom St.-Wolfgangs-Altar verdrängt wurde. Auf dem Marienaltar steht heute die wohl älteste Figur der Kirche: Eine Holzfigur St. Wolfgangs, die in der Zeit um 1470 entstanden sein dürfte. Auch der St.-Wolfgangs-Altar stellt eine Besonderheit dar: Auf der rechten Flügelaußenseite ist mit einer Szene aus der Rochus-Legende die wohl älteste Darstellung eines Pestspitals zu sehen. Der dritte Altar, der Wendelinaltar (datiert 1515), lässt bei genauem Blick Wetzspuren auf der ihm vorgelegten Steinplatte erkennen. Vielleicht haben Soldaten hier ihre Schwerter gewetzt? Oder aber die Schäfer haben Spuren vom Stein abgerieben und als Wunderwirkung unter das Futter gemischt. Eine Variante, die zumindest Uwe Bach bevorzugt.

Im Jahr 1660 wurden anlässlich des Schäfertages in der Kirche Stühle und Bänke erneuert. Eine neue Kanzel und eine Empore, die Süd-, West- und Nordseite umgreift, wurde eingezogen. Im Jahre 1712 wird noch der Glockenturm aufgesetzt, dann verliert die St.-Wolfgangs-Kirche langsam an Bedeutung. Nach der Chronik von Schäffer wurde am 17. August 1776 der letzter Schäfertag abgehalten. Die Rothenburger Schäferbruderschaft verlor ihre besondere Stellung. Im Jahr 1804 wurde das Kirchenvermögen eingezogen. 1890 die nördliche Empore entfernt. Heute ist nur noch die Empore im westlichen Kirchenraum vorhanden. Im Jahr 1911 gründete sich im Rahmen einer Faschingsveran­staltung der Rothenburger Verein ­„Historischer Schäfertanz“ und knüpfte mit der Aufführung traditioneller Tänze ein Stück weit an die Tradition der Schäferbruderschaft an. Gottesdienste finden jedoch nur selten in der St-Wolfgangs-Kirche statt: manchmal bei Hochzeiten von Mitgliedern des Vereins „His­torischer Schäfertanz“ und zuletzt, in offizieller Funktion, im Jahr 2001 zur 90-Jahr-Feier des Vereins. „Die Kirche würde aber bei Anfragen zur Verfügung stehen“, sagt Uwe Bach. ac