Hofarbeit schwesterlich geteilt – Eva und Mareike Bullinger führen die elterliche Landwirtschaft weiter Jul03


Hofarbeit schwesterlich geteilt – Eva und Mareike Bullinger führen die elterliche Landwirtschaft weiter

„Schwestern sind verschiedene Blumen aus demselben Garten“, lautet ein Spruch. Der „Garten“ in dem Eva (26) und Mareike (24) Bullinger groß geworden sind, ist der Werdecker Hof zwischen Gerabronn und Kirchberg an der Jagst. Die lebensfrohen jungen Frauen sind innerhalb der letzten beiden Jahre voll in den elterlichen Bauernhof eingestiegen. Bei 70 Milchkühen, 3 000 Putenmastplätzen und 90 Hektar Land bedeutet das viel Arbeit. Der Schlüssel zum Erfolg: Jede Schwester führt einen eigenen Betriebszweig. Eva hat sich auf Milchvieh und Ackerbau spezialisiert, Mareike auf Putenfleisch-Direktvermarktung.

Familienbetrieb
Bei Arbeitsspitzen, wie dem dreimal jährlichen Ein- und Ausstallen der Puten, helfen sie sich gegenseitig. Mutter Irmtraud ist in Mareikes Arbeit miteingebunden, Vater Gerhard unterstützt Eva bei den Kühen, beim Ackerbau und übernimmt die Kontrollen im Putenstall. „Wir sind ein Familienbetrieb“, sagt die jüngere Schwester.
Ohne Nachfolger hätten die Eltern den Betrieb wohl irgendwann eingestellt. Sie drängten keine ihrer Töchter zur Übernahme. „Wir konnten immer frei entscheiden“, betont Mareike. So zog es die dritte Schwester Carolin als Marketing-Managerin nach Karlsruhe. Auch Eva absolvierte zunächst eine Lehre als Bauzeichnerin. In Gesprächen mit ihrer Schwester reifte der Wunsch, den elterlichen Hof gemeinsam weiterzuführen. Daraufhin startete sie noch eine landwirtschaftliche Ausbildung, die sie in Triesdorf mit dem Techniker für Landbau krönte. Mareike studierte in Nürtingen Agrarwirtschaft. In den jeweiligen Praxisphasen entwickelte jede Schwester ihre eigene Leidenschaft, die wie Puzzleteile zueinander passten: Eva mag die Arbeit mit Kühen, Mareike fand ihre Bestimmung in der Direktvermarktung.
Der Hof hat seit vielen Jahren zwei Standbeine: Milchvieh und Putenmast. Die Bullinger-Schwestern nahmen ein paar Modernisierungen vor. Sie erweiterten den Schlachtraum und schafften Platz für einen Hofladen. Den bestehenden Kuhstall bauten sie um und vergrößerten ihn. Sein Herzstück ist der Melkroboter. „Den will ich nicht mehr hergeben, er bedeutet für mich ein Stück Freiheit“, lacht Eva.
Die Kühe können nun selbstständig entscheiden, wann sie zum Melken gehen. Jede hat ihren eigenen Rhythmus. Insbesondere die älteren Tiere behalten ihren gewohnten Ablauf bei. Die 12-jährige Ludmilla hat in ihrem Leben bereits über 100 000 Liter Milch gegeben. Sie besucht den Roboter morgens und abends pünktlich um sechs Uhr.

Der Werdecker Hof ist ein Familienbetrieb und liegt zwischen Gerabronn und Kirchberg an der Jagst.
Fotos: sag

Neugeborene Kälbchen
Eva Bullinger überprüft am Computer anhand von Werten wie Körpertemperatur den Gesundheitszustand der Tiere. Direkten Kontakt mit ihnen hat sie trotzdem täglich, etwa beim Einstreuen der Liegeboxen und bei der Brunstkontrolle. Das Schönste für sie sind die Geburten. Die Väter der Nachzucht sucht sie selbst aus und nimmt auch die künstliche Besamung vor. „Ich bin immer gespannt, wie die Kälber aussehen und freue mich, sie aufwachsen zu sehen.“ Jede der rot- und schwarzbunten Kühe trägt einen Namen wie Lotte, Urmel oder Linse. Die Puten sind namenlos. Um sie unterscheiden zu können, sind es zu viele. Mareikes Arbeitsalltag beginnt montags um 6 Uhr mit dem Schlachten. Dienstags geht’s ans Zerlegen, mittwochs und donnerstags bereiten Mareike und ihre Mutter die Fleischprodukte für die Hofladentheke vor. Sie würzen Steaks, schneiden Schnitzel und zaubern leckere Grillspieße. Bei den Wurstwaren unterstützt sie ein Metzger.
Macht das Schlachten der jungen Frau nichts aus? Sie lächelt. Schon als Kind wünschte sie sich auf der Muswiese einen Schlachtschurz. „Mama hat früher für Freunde und Bekannte geschlachtet. Wir sind damit aufgewachsen. Niemand von uns hat ein Problem damit, es gehört einfach dazu“, sagt ihre Schwester. Bei einem Kurs verfeinerte Mareike ihre Kenntnisse. „Wenn ich Ende der Woche meine Produkte in die Theke lege, ist das meine größte Freude“, sagt sie. „Ich weiß, dass ich alles selber gemacht habe und hinter den Produkten stehen kann.“
Freitags öffnet ihr Hofladen mit dem Namen „Gute Pute“. Die Theke ist gefüllt mit frischen Wurstwaren und Fleischprodukten. Eine Kundin möchte die Bestandteile der verschiedenen Grillspieß-Sorten wissen. „Das hier sind Deutschlandspieße“, erklärt Mareike Bullinger. An Putenstücke schmiegen sich rote Paprika, dunkle Auberginen und gelbe Zucchini. „Gute Pute“ beliefert auch Hofläden, Wochenmärkte und Gaststätten.
Um 17 Uhr ist Mareike mit ihrer Arbeit in der Regel fertig. Bei Eva kann es halb sieben werden, in der Ernte deutlich später. Nach Feierabend sieht sie nochmals nach den Vierbeinern und steht nachts auf, wenn ein Kalb zur Welt kommt oder der Roboter ein Problem meldet. „Ich bin gerne daheim und will alles unter Kontrolle haben, was mit den Kühen ist“, sagt die leidenschaftliche Landwirtin.

Frauen stehen ihren Mann
Blickt man auf die letzten Jahrhunderte zurück, führten grundsätzlich Männer die Höfe. Ist die harte körperliche Arbeit nicht zu schwer für das weibliche Geschlecht? „Den Hof als Frau weiterzuführen, ist eine Riesenhe-
rausforderung“, bekennt Mareike. „Es gibt Tätigkeiten, bei denen wir einen körperlichen Nachteil haben.“ Um eine zappelnde 20-Kilo-Pute zum Schlachten zu tragen, fehlt ihr die Kraft. Mit Hilfe des Vaters klappt es. Eva ergänzt: „Wir denken nicht dauernd darüber nach, ob dieses oder jenes zu schaffen ist, sondern packen es einfach an – manchmal eben mit vereinten Kräften. Das funktioniert.“
Beide Schwestern sind hochmotiviert und bestrebt, ihre Arbeit gut zu machen. „Uns liegt etwas an unserem Hof“, sagt Mareike. Meinungsverschiedenheiten kommen selten vor, da jede in ihrem Bereich die Chefin ist. Das Projekt Hofnachfolge „ist super angelaufen“, sagen sie unisono.
Mareike und Eva Bullinger sind unterschiedliche Charaktere, aber dennoch Schwestern und Freundinnen zugleich. Was sie eint, ist ihre Heimatverbundenheit. Eben wie zwei Blumen aus demselben Garten.
sab