Gelebte Partnerschaft Mrz11


Gelebte Partnerschaft

Städtepartnerschaft zwischen Susdal und Rothenburg.

Seit mehr als 30 Jahren besteht die Städtepartnerschaft zwischen dem russischen Susdal und Rothenburg. Politische und wirtschaftliche Probleme haben die Menschen zusammengeschweißt. Foto: FA Archiv

Den Rothenburgern liegen die Menschen im russischen Susdal am Herzen

Es gibt nichts was die Städtepartnerschaft zwischen dem russischen Susdal (220 km nordöstlich von Moskau) und Rothenburg ob der Tauber seit 1988 nicht schon überwunden hätte.
Der damalige Oberbürgermeister, Oskar Schubart, und der ehemalige Dekan Johannes Rau unternahmen eine Reise, die sie auch nach Susdal, eine der ältesten Städte Russlands, führte. Der kulturhistorische Ort mit seiner fast 1000-jährigen Geschichte gehört zum sogenannten „Goldenen Ring“ Russlands (besonders interessante Reiseziele).
„Schubart, der als junger Offizier im Zweiten Weltkrieg in Susdal kurzzeitig in Gefangenschaft war, brachte die Idee einer Städtepartnerschaft im Gepäck mit nach Hause“, erzählt Kurt Förster, der 1. Vorsitzende des Vereins Städtepartnerschaften und internationale Beziehungen e. V. Schon der Beginn der Partnerschaft im Jahr 1988 musste durch die damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Eduard Schewardnadse genehmigt werden. Rothenburg zählte damals zu den Pionierstädten deutsch-russischer Städtepartnerschaften, denn zu dieser Zeit herrschte noch der „Kalte Krieg“ zwischen Ost- und West-Ländern. Waren es bei der Schließung des Partnervertrages noch 12 Städtepartnerschaften zwischen der damaligen Sowjetunion und Deutschland, wie zum Beispiel die von Erlangen-Wladimir (30 Kilometer von Susdal entfernt), ist die Zahl heute auf 103 Partnerschaften gestiegen. „Die erste Aktion, die wir 1990 und 1991 starteten, waren LKW-Konvois mit Hilfsgütern wie Lebensmittel und Kleidung“, erinnert sich Ulrich Kößer, 2. Vorsitzender des Vereins Deutsch-Russisches Forum e. V.. Die große Not der Bevölkerung machte die Hilfskonvois zu einer begehrten „Beute“. Zur Sicherheit begrüßte uns eine Gruppe Susdaler Partner an der Grenze, um die Ware an ihren Zielort zu bringen. „Die Menschen in Susdal haben uns jedes Jahr sehnlichst erwartet, weil wir die Einzigen waren, die halfen“, so Ulrich Kößer, der seit 2013 mit einer Susdalerin verheiratet ist. Nicht selten hörten die Rothenburger Helfer: „Wenn ihr nicht gewesen wärt, hätten wir nichts gehabt“. Vermehrte Bedrohungen der Fahrer, langes Warten bei Kontrollen und Schmiergeldforderungen brachten die Überlegung nahe, künftig Hilfe in finanzieller Form zu leisten.

Tanzende Susdaler in Rothenburg

Seit der Unterzeichnung des Städtepartnerschaftsvertrages 1988 durch Oberbürgermeister Oskar Schubart teilen Susdaler und Rothenburger ihr Leben und ihre Kultur. Foto: Privat

Hilfe die ankommt
Gesagt, getan! Aufgrund der aktuellen Situation erstellte Kurt Förster gemeinsam mit dem Rothenburger Stadtrat ein System, um sicherzugehen, dass finanzielle Mittel auch da ankommen, wofür sie gedacht waren. Ein Spendenaufruf im „Fränkischen Anzeiger“ im November und eine Weihnachtsmarktbude mit Weihnachtsartikeln russischer Tradition auf dem Reiterlesmarkt, gehen seither dem jährlichen Städtepartnerbesuch voraus. Die Gelder, die sich durchschnittlich um die 30 000 Euro und mehr (35 000 in 2020) belaufen, werden gegliedert in allgemeine Spenden, den Kinder-, Jugend-, oder anderen sozialen Einrichtungen zugutekommen. In Susdal selbst wird eine Liste mit den Ärmsten der Armen erstellt. Damit die Spende bei den Bedürftigen und Einrichtungen auch ankommt, wird vor der Reise eine Route geplant, um die Empfänger direkt zu besuchen. „Das war die beste Idee überhaupt. Auf diese Weise sind über die 32 Jahre echte Beziehungen unter uns entstanden“, blicken die Rothenburger Organisatoren begeistert zurück. Mittlerweile gibt es sechs Eheschließungen oder Kinderpatenschaften. Darunter Egor, ein heute 21-jähriger Susdaler, der sich durch seinen Rothenburger Paten, Helmut Eger, beruflich umorientieren konnte.
„Besonders anrührend ist es, dass ich in meiner Eigenschaft als ehrenamtlicher Bürgermeister Eheschließungen vornehmen darf“, freut sich Förster. „Unabhängig von der jährlichen Sammlung erfahren wir immer wieder von Notfällen, die dann zu gesonderten Spendensammlungen unter den Rothenburgern führen“, weiß Erwin Bauer, der ab Mai 2020 Kurt Förster als 1. Vorsitzenden des Vereins ablösen wird.
Anders als in Deutschland, müssen alleinstehende Mütter ihre Kinder in Heimen abgeben, da aus russischer Sicht eine sichere Versorgung nicht gewährleistet ist. Die Mutter erhält eine staatliche Rente. Eine Susdalerin mit Zwillingen, der ein Zimmer zustand, musste die Wohnung mit einem Mehrfachstraftäter teilen. Private Spenden des Susdaler Städtepartnervereins konnten durch eine Dauerzuwendung von 400 bis 600 Euro monatlich dafür sorgen, dass die Kinder bei ihrer Mutter bleiben durften und die Wohnung privatisiert wurde. Ein anderes Beispiel privater Unterstützung ist die Infektion einer Würzburger Krankenschwester, die sich in Susdal mit Hepatitis C infiziert hatte. Der Verein sorgte durch Spenden dafür, dass sie in eine Medikamentenstudie aufgenommen werden konnte. Die neueste Errungenschaft ist die Susdaler Sozialstation, die Kinder und Jugendliche mit Behinderungen fördert. Staatliche Unterstützung für Kinder mit Handycap gibt es in Russland nicht. Der Verein konnte in diesem Jahr 3 000 Euro spenden. Zu guter Letzt ist der rege Schüleraustausch zwischen der Oskar-von-Miller-Realschule und der Susdaler Mittelschule 1, der seit Jahrzehnten stattfindet, ein wichtiges Bindeglied zwischen den Generationen.
Fast überall in Rothenburg hört man daher: „Susdal? Da war ich auch schon mal“.
ul