„Furry“ als Lebenseinstellung – Eine aktive Szene Sep01


„Furry“ als Lebenseinstellung – Eine aktive Szene

Björn Korinth und Michael Münz tauchen in anthropomorphe Welten ein
Da sitzen und stehen sie fein aufgereiht an der Burggartenmauer: plüschige Tiere in menschlicher Größe. In einem von ihnen steckt Michael Münz. Björn Korinth stand hinter der Kamera. „Es war gar nicht einfach ein Foto von unserer Gruppe ohne asiatische Touristen zu bekommen“, erinnert er sich. Michael Münz und Björn Korinth sind Furries.
Das Furry-Phänomen hat seinen Ursprung in den USA. Maskottchen bei Sportveranstaltungen und zu Werbezwecken sind dort alltäglich. Dazu kommt die Vermischung von Mensch und Tier in der Filmindustrie. In den 1990er Jahren ist die Gestalt anthropomorpher Tiere nach Deutschland übergeschwappt. Michael Münz hat vor 15 Jahren, als Student, die Bewegung im Internet entdeckt. „Ich fand das interessant und habe mir nach einiger Zeit einen ersten Fursuit gebaut“, erzählt er.
Furry – das ist für ihn und Björn Korinth, der seit etwa elf Jahren die Leidenschaft für die plüschige Charakterdarstellung pflegt, mehr als nur ein Hobby. Die Philosophie, die hinter dem Phänomen Furry steckt, ist für beide eine Lebenseinstellung.
„Die Außendarstellung im Kostüm ist eine der Facetten, die die Furry-Bewegung prägt“, so Michael Münz. Jeder Darsteller hat einen Hauptcharakter, unter dem er auch in der Szene bekannt ist. Bei Michael Münz ist das der Panda, bei Björn Korinth der Wolf. Im Kostüm werden die menschlichen und tierischen Eigenschaften zur Fantasiefigur verschmolzen. Mit den plüschigen Anzügen, Fursuits genannt, zeigen die Fans die Facetten ihres eigenen Charakters. Michael Münz vergleicht das mit dem Agieren von Schauspielern, „nur dass unsere Bühne überall ist“, fügt er an.

Björn Korinth und Michael Münz bauen in ihrer Freizeit plüschige Anzüge, sogenannte Fursuits. Foto: am

Björn Korinth und Michael Münz bauen in ihrer Freizeit plüschige Anzüge, sogenannte Fursuits. Foto: am


Die Furry-Bewegung, die in den USA regelmäßig Treffen mit bis zu 7 000 Teilnehmern organisiert und auch in Deutschland bei der jährlich stattfindenden Eurofurence in Berlin über 2 000 Fans anlockt, besteht aber nicht nur aus den Mitgliedern im Kostüm. Es gibt ebenso eine große Szene von Künstlern, die sich zeichnerisch und musikalisch den anthropomorphen Figuren widmen. Auch das Engagement für wohltätige Zwecke ist in der Furry-Szene weit verbreitet.
Björn Korinth, EDV-Fachmann, und Michael Münz, Entwicklungsingenieur, arbeiten beide in Rothenburg und leben in Neusitz. In ihrem Haus schmücken nicht nur zahlreiche Plüschtiere als Inspiration das Wohnzimmer, sondern auch kunstfertige Gemälde, allesamt besondere Erinnerungen, zeugen von ihrer Leidenschaft. Den zweitgrößten Raum der Wohnung haben sie aber einer besonderen Nutzung zugeführt: Hier entstehen ihre Fursuits.
Fein säuberlich aufgereiht hängen die Fellanzüge an der Stange, ganz oben im Regal stehen die Köpfe. Auf den Tischen finden sich Nähmaschine, Klebepistole und diverse Nähutensilien. „Für den Bau des ersten Fursuit habe ich noch mehr als ein Jahr gebraucht“, so Michael Münz. Mittlerweile sind er und Björn Korinth ein eingespieltes Team und fertigen einen Anzug in etwa zwei Monaten. Die Kosten sind dabei nicht unerheblich. „Die Felle beziehen wir meist aus den USA, da das einfach die beste Qualität ist“, so Björn Korinth. Etwa 600 Euro reine Materialkosten fließen in einen Fursuit – und jede Menge Kunstfertigkeit. Für den Kopf wird ein Untergestell gebaut – aus Streifen von Fitnessmatten und Plastikgitter, ähnlich dem der Fliegenpatsche. In die Schnauze bauen die beiden Männer batteriebetriebene Lüfter ein, um die Hitze erträglicher zu machen. Das Körperkostüm wird nach individuellen Schnitten genäht, eventuell sogar komplett ausgepolstert – für mehr Teddyerlebnis. Die Tatzen und Füße formt und schnitzt Björn Korinth aus Schaumstoff. Das Innenleben besteht aus einem normalen Schuh, um den nötigen Halt zu geben. Fester Filz macht die Tatzen im Freien gehbar – oder es wird eine Art Sandale übergezogen. Die Füße und der Kopf werden mit den Fellstreifen so beklebt, dass keine Ränder sichtbar sind. Etwa 23 Fursuits, für die eigene Nutzung und für Freunde, haben die beiden gebaut. „In Europa gibt es nur Wenige, die Fursuits fertigen“, so Michael Münz. Müssten sie alle ihre Anzüge kaufen, würden je nach Aufwand etwa 3 000 Euro anfallen.

Fursuitwalk in Rothenburg
Die Furry-Szene hält zu 90 Prozent über das Internet und einzelne Foren Kontakt. Früher eine reine Männerdomäne, entdecken mittlerweile auch Frauen und Familien das Hobby. Die Hauptveranstaltung in Deutschland ist die Eurofurence in Berlin, die Mitte August zum 22. Mal stattfand. Daneben organisieren Anhänger des Furry-Genre „Furdances“ (Tanzveranstaltungen) und „Fursuitwalks“ (Spaziergänge in den Kostümen) in verschiedenen Städten.
Einen jener „Fursuitwalks“ haben Michael Münz und Björn Korinth im letzten Jahr in Rothenburg organisiert. Aus ganz Deutschland und aus den USA kamen Teilnehmer in ihren Kostümen nach Rothenburg. Die Einheimischen und Touristen waren allesamt begeistert. Die manchmal gut zwei Meter großen Tierfiguren sind Sympathieträger der besonderen Art. Nun heißt es wieder an einem Samstag im September die Augen gut aufsperren, denn Michael Münz, Björn Korinth und ihre befreundeten Furries planen wieder einen Spaziergang durch Rothenburg. am