Ein Stoff für’s Leben Sep01


Ein Stoff für’s Leben

Gerhard Strauß baut Flachs an, die Grundlage um Leinen herzustellen

Inmitten zartblauer Blüten steht Gerhard Strauß im Leinenhemd und mit Strohhut am Ortsrand von Burgstall. Was hier wächst kennt kaum mehr jemand: Es ist Flachs. Im 19. Jahrhundert hatte in Hohenlohe noch jeder Bauer sein eigenes Flachsfeld – denn ohne Flachs gab es nichts zum Anziehen. Aus Flachs wird nämlich die Leinfaser gewonnen, aus der die Bauern unverwüstliche Kleider, Bett- und Gebrauchswäsche anfertigten.
„Man spricht vom Flachs, solange bis der Samen reif ist. Danach heißt es Lein“, erklärt Gerhard Strauß. Der Flachs ist sein Hobby. Kaum einer weiß so viel wie er über Anbau, Weiterverarbeitung und Historie der beinahe vergessenen Pflanze.

Gerhard Strauß führt das Riffeln vor: Samen und Stroh werden so getrennt.

Gerhard Strauß führt das Riffeln vor: Samen und Stroh werden so getrennt.

Flachs zu Vorführzwecken
Gerhard Strauß ist Vollererwerbslandwirt. Bis 2003 hatte er einen gemischten Betrieb, seitdem betreibt er Schweinezucht und Acker­bau. Seit 1985 baut er in kleinen Mengen wieder Flachs an. Das Feld hinter seinem Wohnhaus misst in diesem Jahr etwa drei Ar. Und wie es einem Hobby gebührt, muss der Flachs keinen wirtschaftlichen Ertrag bringen, sondern dient rein zu Vorführungszwecken.
Am anderen Ortsrand von Burgstall steht nämlich die Flachsbrechhütte. Das Gebäude wurde um 1726 erbaut, und war bis etwa 1920 in Betrieb. Im Rahmen der Flurbereinigungsmaßnahmen in den 70er Jahren mussten Ausgleichsmaßnahmen für die Landschaftsveränderung geschaffen werden. In Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt für Landschaftspflege wurde daher die Flachsbrechhütte renoviert und ist seitdem ein Museum.
In den 80er Jahren kamen die ­ersten Besucher nach Burgstall ins Flachsbrechmuseum, meist ältere Herrschaften um die 70. „Die Besucher kannten den Flachs noch aus ihrer Jugend und haben mir viel über Anbau und Verar­beitung erzählt“, sagt Gerhard Strauß.
Gerhard Strauß wollte ein lebendiges Museum, das die Geschichte des Flachs von der Saat bis zu den Endprodukten nachvollziehbar macht. Und dazu brauchte er echten Flachs. „Nach alten Überlieferungen hat man Anfang Mai ausgesät“, weiß der Landwirt. Da es hier so trocken ist, sät er bereits im April. „Der Flachs ist mir noch nie erfroren“, sagt er. Wie schon viele seiner Vorgänger sät er die Samen breitwürfig mit der Hand aus. Das Unkraut, das sich dazwischen breit macht, zupft er stets per Hand aus.
Bis zu 95 Zentimeter hoch wird die Pflanze im besten Fall. Die zartblauen Blüten sollen angeblich den Ausspruch „eine Fahrt ins Blaue“ geprägt haben.
Die Baumwolle ist schuld
Der Flachs ist eine uralte Pflanze und wurde schon in Ägypten vor mehr als 4000 Jahren angebaut. Um 1750 wurden in Deutschland noch etwa 250000 Hektar Flachs angebaut, 1919 waren es noch 70000 Hektar. Heute ist der Flachsanbau in Mitteleuropa bedeutungslos. Die Baumwolle hat ihn längst verdrängt.
„Zum Anbau und zur Weiterverarbeitung von Flachs braucht man unendlich viel Zeit und Geduld. Sonst wird das nichts“, weiß Gerhard Strauß.
Mit einem Leuchten in den Augen beschreibt er, wann der Flachs reif ist: In den runden Pollen liegen die Samen. Ist das Fruchtfleich abgetrocknet, rasseln die Samen in den Pollen. „Im Wind hört man das Feld dann regelrecht rauschen“, sagt er.
Geerntet wird natürlich ebenfalls mit der Hand. Die Pflanze wird „gerauft“, also mit den Wurzeln aus dem Boden gezogen. Schließlich soll kein Zentimeter der wertvollen Faser verloren gehen. Danach wird der Lein auf dem Feld zum Bündeln aufgestellt, damit die Restfeuchtigkeit trocknen kann.
War er trocken, haben die Bauern noch zu Hause in der Scheune den Lein geriffelt. Gerhard Strauß zeigt im Flachsbrechmuseum ein Riffeleisen aus dem Jahr 1800. Die getrockneten Stängel wurden durch den eisernen Kamm gezogen und die Samenkapsel somit abgestreift.

Der Flachs wird gehechelt. Foto: am

Der Flachs wird gehechelt. Foto: am

Altes Handwerkszeug
Zahlreiche alte Gerätschaften stehen heute im Museum. „Sogenannte Dachbodenfunde und Leihgaben“, sagt Gerhard Strauß. Viele Besucher haben noch alte Geräte gehabt, die sie dem Museum vermacht haben. Neben den Riffeleisen stehen hölzerne Brechen, Hecheln, Schwingen und auch Spinnräder. Hat der Zahn der Zeit zu sehr an den historischen Arbeitsmitteln genagt, bessert Gerhard Strauß sie akribisch aus.
Die Samenkapseln werden mit Schlegeln gedroschen und somit Leinsamen gewonnen. Den kennen wir noch heute: als gesundes Nahrungsmittel, als Leinöl und auch noch als Grundlage für Firnis.
Zu besonderen Anlässen wird an der Flachsbrechhütte das Dreschen der Pollen vorgeführt. Im stimmigen Rhythmus schwingen die Männer, gewandet in typische Leinenkleidung, dann die Schlegel.
Die Stängel müssen derweilen nochmal zur „Röste“. „Rösten kommt hier von Rotte oder auch Fäulnis“, erklärt Gerhard Strauß. Auf dem Feld wird die Faser mehrere Wochen der Feuchtigkeit ausgesetzt, damit sie sich von Bast und Stroh teilt. Nach dem erneuten Trocken und Lagern ging es im Winter zur Weiterverarbeitung in die Darre.
Das Trocknen in heißer Luft
Das Herzstück jeder Flachsbrechhütte war die Darre. Das gemauerte Rondell war durch einen unterirdischen Gang, den Fuchs, mit dem Feuerhaus verbunden.
Gut 48 Stunden lagen die Fasern im Dörrkessel und wurden durch die heiße Luft spröde. Wegen des offenen Feuers lagen die Flachsbrechhütten stets außerhalb des Dorfes.
Auch in der Hütte in Burgstall
hat es 1916 gebrannt. Im Inne-ren des Dachgiebels sieht man noch die schwarzen Rußspuren. Zur Sicherheit wurde daher stets zwischen Brechraum und Darre eine Steinmauer eingezogen.
„Etwa eine Darre hat für den Jahresbedarf anLeinfasern für einen Hof gereicht“, erklärt Gerhard Strauß. Beim Brechen der Fasern haben dann alle Familien zusammengeholfen.
Auf der Breche drückt Gerhard Strauß mit den obenliegenden Holzschienen die Fasern in die ­untenliegenden Zwischenräume. Unbrauchbare Rindenteile werden so abgetrennt.
Danach geht es ans Schwingen. Über dem Schwingbock werden mit dem Schwingschwert weiter holzige Teile entfernt. Je genauer du brichst und schwingst, desto besser wird der Stoff, hieß es einst. „Was beim Leinenstoff kratzt, das sind kleinste verwo­bene Strohteile“, erklärt Gerhard Strauß.
Der vorerst letzte Arbeitsschritt war das Hecheln. Die langen Fasern wurden über die metallenen Zähne der Hechel gezogen – und heraus kamen feinste Härchen. Eine Arbeit, die sehr viel Geduld und Feingefühl verlangt.
„Der Aufwand der Flachsverarbeitung passt nur noch in die Vergangenheit“, stellt Gerhard Strauß fest. Aus 100 Kilo geriffeltem Flachsstroh erhält man zehn Kilo Faser. Etwa sechs Kilo davon werden zu feinen Fäden für Leinenstoffe gesponnen. Die anderen vier Kilo, das Werk, gibt einen groberen Faden, aus dem Sä­cke gewebt wurden.
Die feinen Fasern werden zu Flachszöpfen, dem Grundmaterial zum Spinnen von Fäden, gedreht. Flachszöpfe waren dereinst Teil der Aussteuer und fanden sich in jedem Weißschrank. Ohne Flachs bzw. Lein konnten die Bauern früher nicht überleben. Die Pflanze gehörte zum Alltag.

Leinsamen, Werk, ein Flachszopf, der gesponnene Faden mit Spindel und gewebtem Band und Leinöl.

Leinsamen, Werk, ein Flachszopf, der gesponnene Faden mit Spindel und gewebtem Band und Leinöl.

Filmprojekt zum Thema Flachs/Lein
Der Zufall wollte es, dass vor einigen Jahren der Hobbyfilmer Friedrich Schinko zu einer Vorführung im Flachsbrechmuseum kam. Er machte erste Filmaufnahmen, kam in Kontakt mit Gerhard Strauß und gemeinsam beschlossen sie, den gesamten Arbeitsablauf von der Saat bis zum Endprodukt festzuhalten. Seit vier Jahren machen sie gemeinsam Filmaufnahmen. Entstanden ist ein 60 minütiger Film „Vom Leinsamen zu Leinöl und Leintuch“, den sie auf Wunsch Interessierten vorführen.
Geöffnet ist die Flachsbrechhütte in Burgstall nach Anmeldung bei Gerhard Strauß, Tel. 09865-497, oder Klaus Geißendörfer, Tel. 09865-547. am