Ein begehrter Siedlungsort – Der Feuerleinserker: Ein Haus mit vielen Geheimnissen Jun01


Ein begehrter Siedlungsort – Der Feuerleinserker: Ein Haus mit vielen Geheimnissen

Nicht jedes Haus, das eine Geschichte zu erzählen hat, springt einem sofort ins Auge. An manchem würde der geneigte Betrachter vielleicht kurz aufsehen, aber dann doch vorbeigehen ohne zu erahnen, was hier im Verborgenen schlummert. So ein Haus steht in der Klingengasse 9, den Einheimischen unter der Kurzform „Feuerleinserker“ bekannt.
Entsprechend schlicht ist der Eintrag in der Denkmalliste: „Wohnhaus, zweigeschossiger Eckbau mit steilem Satteldach, Fachwerk, Obergeschoss und Giebel sowie Polygonalerker mit Zeltdach, dendro datiert 1501, Fachwerk 1616, Gartenmauer mit Rundbogentor 18. Jahrhundert“.

Blick in den Untergrund
Der Weg vom Klingentor hoch zur St.-Jakobs-Kirche führt direkt am Feuerleinserker vorbei – und ganz klar, die meisten zieht es direkt hoch zum imposanten Kirchenbau. Dabei war dieser Ort, Klingengasse 9, schon besiedelt, als an die St.-Jakobs-Kirche noch keiner dachte. Diese Erkenntnis entdeckten Horst Brehm († 2016) und seine Kollegen, als sie vom 15. Juni bis 20. Juli 1986 eine archäologische Ausgrabung im Inneren des heutigen Hauses durchführten (die Ergebnisse sind im Sonderdruck des Jahrbuches 1989/90 des Vereins Alt Rothenburg festgehalten).
Regina Däschner, Stadtführerin und Lebensgefährtin von Horst Brehm, erinnert sich, dass dies die erste Plangrabung, also wissenschaftliche Forschungsgrabung, in der Rothenburger Altstadt war.
Das Haus „Feuerleinserker“, heute im Besitz der Stadt Rothenburg, wurde 1986 umfassend saniert und da es in einem der ältesten Stadtbereiche, direkt im Anschluss an das ehemalige Dominikanerinnenkloster liegt, entschloss man sich im Zuge der Umbauarbeiten hier in die Tiefe zu blicken.
Bereits am Hang des Burggartens sind Archäologen bei früheren Lesefunden auf prähistorische Elemente der Urnenfelderkultur gestoßen. Die Urnenfelderkultur wird um 1000 v. Chr. angesetzt und lässt sich anhand typischer Keramikformen belegen.

Frühe Zeugnisse
„Auch im Innenstadtbereich findet man vorchristliche Keramik und man kann davon ausgehen, dass der Altstadtbereich zu dieser Zeit locker besiedelt war“, so Regina Däschner. Bei den Grabungen im Haus Feuerleinserker fanden die Archäologen ebenfalls vorchristliche Tonscherben, die jedoch zeitlich nicht genau eingeordnet werden konnten. „Für eine Feinchronologie braucht man Randscherben, denn die Art der Randgestaltung lässt eine genaue Zeitbestimmung zu“, so Däschner.
Bei den Grabungen, die im südlichen Teil der heutigen Bebauung der Klingengasse 9 stattfanden, entdeckten die Forscher auch zwei Vorgängerbauten. Im 12. Jahrhundert stand hier bereits ein Pfostenbau. Bei den Grabungen stieß Horst Brehm auf massive Pfosten, Durchmesser 90 cm, die tief eingeschlagen waren. Aus den ehemaligen Holzpfosten war über die Jahrhunderte ein abgeschlossener Hohlraum entstanden. „Die Pfosten waren mit Flechtwerk verbunden“, erklärt Regina Däschner.
Eine weitere Bebauung fand im 13. Jahrhundert, immer noch innerhalb des heutigen Gebäudes und wesentlich kleiner statt. Der damalige Bauherr hinterließ eine ganz besondere Botschaft: einen Pferdeschädel.

Die Bäckerdynastie „Feuerlein“ hat dem Haus seinen markanten Namen gegeben.                   Foto: Stadtarchiv

Die Bäckerdynastie „Feuerlein“ hat dem Haus seinen markanten Namen gegeben. Foto: Stadtarchiv


In der Schicht des beginnenden 13. Jahrhunderts war der Schädel eines etwa vier bis fünf Jahre alten Hengstes in Ost-West-Ausrichtung eingelegt.
Das war kein Zufall, denn dereinst war es eine verbreitete Tradition in das Fundament eines Hauses ein „Bauopfer“ einzuarbeiten. Etwas Lebendes oder einst Lebendiges sollte den Bau schützen oder mit seinen Eigenschaften auf den Besitzer übergehen.
Für die Archäologen gab es zwei Möglichkeiten: entweder wurde der Pferdeschädel unversehrt eingebracht oder er war schon skellettiert und wurde dann sehr sorgfältig niedergelegt, denn der anatomische Verbund bestand selbst nach acht Jahrhunderten noch.
Eine abergläubische Zeit
Das Haus Feuerleinserker gibt noch mehr Geschichten aus der Vergangenheit preis: In einem Planum aus dem 13. Jahrhundert (praktisch der Boden dieser Zeit) wurden kleine Knochenteile auf einer locker braunen Masse gefunden. Die Untersuchungen ergaben, dass dies Reste von Tierpfoten waren und die braune Masse der dazu gehörige Beutel sein könnte. Regina Däschner erklärt: Damals war es üblich in einem Lederbeutel eine Kette mit Tierknochen mit sich zu führen. Auch hier sollten die Eigenschaften des Tieres auf den Menschen übergehen.
Das gesamte Arreal Klingengasse 9 sah dereinst ganzlich anders aus. Das Haus war wesentlich kleiner und ein öffentlicher Brunnen befand sich an der nordöstlichen Ecke – genau dort, wo heute der Feuerleinserker prangt. Auch hier haben die Archäologen gegraben und festgestellt, dass der Brunnen aus dem späten 15. Jahrhundert stammt, einen Durchmesser von 1,10 Meter hat und mindestens 7,50 Meter tief ist. „Die Sole war in den Fels eingeschlagen“, so Däschner. Heute ist der Brunnen nicht mehr zugänglich.
Das Arreal des heutigen „Feuerleinserkers“ mit dem Längsbau zur Straße, einem Querbau im Hinterhof, der 1982 abgerissen und komplett neu aufgebaut wurde, und dem Innenhof schließt direkt an die ehemaligen Außenmauern des Geländes des Dominikanerinnenklosters an, war aber nie Teil der Klosteranlage.
In den Archivalien ist die Klingengasse als Handwerksviertel belegt. Hier haben sich Schneider, Hafner, Schlosser oder Metzger angesiedelt. Ludwig Schnurrer schreibt in „Rothenburg im Mittelalter“, erschienen 1987, dass die Besiedelung der Nordstadt ab 1377 nachgewiesen ist, das äußere Klingentor wird erstmals 1378 erwähnt.
Die Ecke Klingengasse galt als Außenteil der Stadt und hier siedelten sich Berufe an, die aus Gefährdungsgründen (z.B. Feuer oder Lärm) im inneren Stadtkern nicht gern gesehen waren.
Die Versorgung der Bevölkerung musste aber auch hier gewährleistet sein, also waren Metzger und Bäcker willkommen. Nachweislich seit 1808 hat im Haus Klingengasse 9 stets ein Bäcker seine Brötchen gebacken. Zuerst die Familie Heilmann, dann Keller, und ab 1868 bis 1933 die Feuerleins. So kam der schöne Erker mit seinen grünen Butzenscheiben aus dem Jahr 1616 zu seinem Namen.
Die Tradition des Brotbackens mit ihrem Ursprung im Feuerleinserker wird heute in der Unteren Schmiedgasse weiter geführt. Die Tochter der letzten Feuerleins hat Fritz Striffler geheiratet. Seit 1933 führt die Bäckerei Striffler nun in vierter Generation das Handwerk mitten in der Altstadt fort.
Etwa um das Jahr 2003 endete die gewerbliche Nutzung des Erdgeschosses. Das letzte Geschäft war ein Dessousladen. Heute ist der Feuerleinserker inklusive neuem Anbau und ehemaliger Bäckerei ein reines Wohnhaus. „In dem gesamten Arreal sind sechs städtische Wohnungen, drei im Vorderhaus und drei im Neubau“, erklärt Stadtbaumeister Michael Knappe. am