Besondere Spezialität – Traditionsgebäck: Schneeballen Jan08


Besondere Spezialität – Traditionsgebäck: Schneeballen

Wer braucht schon Schnee im Winter, wenn er das ganze Jahr über Schneeballen hat? Rothenburg kann das von sich behaupten. Tausende von Schneeballen werden hier über das Jahr gebacken, denn das Rothenburger Gebäck hat immer Saison. Auch im Sommer. Die runden Kugeln sind die bekannteste Spezialität in der Tauberstadt – kommen aber eigentlich vom Land.
Schneeballen waren schon immer etwas Besonderes. Der älteste Beleg dafür wird heuer 300 Jahre alt. Im Rothenburger Stadtarchiv liegt die Rechnung des Wildbadwirts Georg Simon Kern vom 8. September 1719. Unter den Müllern im Taubertal gab es immer wieder Streitigkeiten und daher begab sich der Rothenburger Rat 1719 auf eine zweitägige Mühlenvisitation. Zum Abschluss gab es beim Wildbadwirt ein herrschaftliches Essen mit gebratenen Hasen, Karpfen, Wein, Bier und einer Schüssel Schneeballen. Diese schlägt mit 32 Kreuzer zu Buche. Im Vergleich dazu: Die Karpfen kosteten nur 30 Kreuzer.
Ein weiterer historischer Beleg findet sich im Haushaltsbuch „Der Hausvadder“, das im Dorfmuseum Weikersheim liegt. Dort ist ein Schneeballenrezept aus dem Jahr 1722 publiziert. Der Schneeballen hat also mindestens 300 Jahre auf dem Buckel, wahrscheinlich sogar mehr. Wissenschaftlich erforscht ist der Beginn der Schneeballenbäckerei nicht, sondern nur Erzählungen und Erinnerungen lassen Rückschlüsse zu, wie es einst begonnen hat.
Rosemarie Blechschmidt aus Archshofen bei Creglingen ist mit dem Gebäck groß geworden. Zur Aussteuer hat sie ein Schneeballeneisen bekommen. Das war Tradition. Seit über 30 Jahren backt sie mittlerweiler Schneeballen auf Nachfrage. Gelernt hat sie es von ihrer Mutter.
„Schneeballen wurden zu Konfirmationen und zu großen Festen gebacken“, erzählt sie. Üblich war das Aussenden eines Bündels um sich für die Geschenke zu bedanken. „Wie auf einem Tablett haben die Kinder damals noch Kuchen und Gebäck ausgetragen. Da durfte der Schneeballen nicht fehlen“, erinnert sie sich.
Auf dem Kohleherd und in kleinen Töpfen haben die Frauen einst das Festgebäck hergestellt. „Das Fett hat geschäumt und das Backen war eine heikle Angelegenheit“, erzählt sie. Der gelungene Schneeballen war ein Aushängeschild für die Backfertigkeit der Hausfrau.
Der Teig war einst sehr mächtig, mit viel Butter und Schmand. Rosemarie Blechschmidt hat das alte Rezept daher ein wenig angepasst. Auf etwa 50 Schneeballen kommen 30 Eigelb, zwei Eier, Mehl, Puderzucker, ein Becher Sahne und fast genauso viel Schnaps. Der Teig wird ausgewellt, gerädelt, in der offenen Hand locker gegriffen und dann geht es ab ins Schneeballeneisen. Je fünf Minuten wird der Mürbeteig im Fett gebacken, danach kühlen die Kugeln aus und werden mit Puderzucker bestäubt.

Bäckermeister Florian Striffler stellt täglich Schneeballen her. Im Cafe in der Unteren Schmiedgasse kann man bei der Fertigung zusehen. Foto: am

Vom Land in die Stadt
In Rothenburg verkauft die Bäckerei Striffler seit 1927 Schneeballen. Florian Striffler führt das Familienunternehmen mit Hauptgeschäft in der Unteren Schmiedgasse, mitten in der Altstadt, in der vierten Generation. „Mein Uropa hat mit dem Backen der Schneeballen begonnen“, erzählt er. Schneeballen wurden auf dem Land nur zu bestimmten Festen hergestellt. Als Fritz Stiffler vor über 90 Jahren begann, sie in der Bäckerei herzustellen, konnte man das Gebäck unabhängig von Festen auch in der Stadt kaufen.
Florian Striffler hält sich, wie sein Opa und sein Vater, genau an das Rezept des Uropas. „Das Zwetschgenwasser ist ganz wichtig“, erklärt er. Von April bis Dezember ist im Geschäft in der Altstadt Schneeballenhochzeit. Täglich fünf bis sechs Stunden wird das mürbe Gebäck hergestellt. „Etwa 80 Prozent der Schneeballen kaufen Touristen“, ist die Erfahrung von Florian Striffler.
Damit die Herstellung zügig voran geht, hat der Metallbauermeister Michael Kastner für die Rothenburger Bäcker spezielle Schneeballenkörbe entwickelt und fertigt diese aus Edelstahl. Bis zu zwölf Schneeballen können so in einem Arbeitsschritt gefertigt werden. Eine Besonderheit sind auch die kleinen Schneeballen, die es seit gut zehn Jahren gibt. Auch dafür stellt er in Handarbeit Körbe für die Bäcker her und ebenso einzelne Schneeballeneisen, die einen Durchmesser von 6 cm haben und die es nur bei ihm gibt.
Das Angebot an Schneeballen ist mittlerweile groß. Alle Bäcker haben sie im Angebot und nicht immer gefällt den Einheimischen, was sie da im Fenster sehen. In den buntesten Farben leuchten die Kugeln mitunter. Roter Zuckerguss ziehrt sie, Füllungen finden sich in ihrem Inneren. Was die Touristen freut, schreckt die Traditionalisten. Dem einen schmecken sie hier, dem anderen dort. Der Schneeballen ist gehasst und geliebt – und im wahrsten Sinne in aller Munde.

Metallbauermeister Michael Kastner fertigt nicht nur die großen Schneeballenkörbe für die Bäcker, sondern auch die Schneeballeneisen für kleine Gebäckkugeln für Privathaushalte. Foto: am

Schneeballen erobern die Welt
Im Zuge der Globalisierung hat der Rothenburger Schneeballen längst mit seinem Siegeszug in die weite Welt begonnen. In den Kaufhäusern von Seoul war er vor einigen Jahren der Verkaufsschlager und es gab Schneeballen mit Vanille, Orange, Kokosnuss oder sogar Käse. Selbst in Singapur kennt man ihn und Blogger geben sogar Verzehrtipps: Der Schneeball muss mit einem Hämmerchen zerschlagen werden.
Für Rosemarie Blechschmidt ist das unvorstellbar. Einen Schneeballen bricht man einfach mit den Händen auf. „Und drauf gehört nur Puderzucker“, stellt sie fest, „Schließlich ist der Schnee ja auch weiß.“

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