Malen um zu Leben – Der Rothenburger Künstler Werner Henkelmann Jun01


Malen um zu Leben – Der Rothenburger Künstler Werner Henkelmann

Er ist ein Geheimtipp – und zwar ein echter. Werner Henkelmann ist Rothenburger, 91 Jahre alt, ein Künstler mit besonderem Stil, der an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg studiert hat. Er hat seine Werke noch nie gezeigt, bis auf einen kleinen Exkurs mit dem Künstlerbund, der aber nicht gut endete, und kaum ein Bild verkauft. „Ich wollte immer nur malen um des Malens willen“, erklärt er.
Werner Henkelmann sitzt seit fast 60 Jahren im Rollstuhl und natürlich merkt er die Spuren seiner 91 Lebensjahre. Beginnt er aber zu erzählen, von seinem Leben, von seinen Reisen, von seiner Kunst, dann donnert eine Stimme durch den Raum, die keinerlei Rückschlüsse auf Lebensjahre oder körperliche Handicaps zulässt, sondern von der Willenskraft eines besonderen Menschen zeugt. Werner Henkelmann ist 1927 in Rothenburg geboren. Mit 16 Jahren stand der Oberschüler als Luftwaffenhelfer hinter der Kanone. „Wir sollten amerikanische Flieger abschießen und nebenher Latein lernen“, sagt er und fügt an: „Beides haben wir nicht gemacht.“ Am 8. Mai 1945 kam er zurück nach Rothenburg. Bei einem Bauern hatte er seine Uniform in Zivilkleidung umgetauscht. Sein Vater war verschollen und seine Mutter war im Gefängnis, wegen ihrer Funktion als Kreisgeschäftsführerin der NS-Frauenschaft (zu der sie 1939 dienstverpflichtet wurde).
Nun ging es darum zu arbeiten um Lebensmittelmarken zu erhalten. „In Rothenburg war jede Menge kaputt und so habe ich Maurer gelernt und später die Gesellenprüfung gemacht“, erzählt er.
Die Malerei hatte es ihm dabei schon in jungen Jahren angetan. Ein Lehrer, den er im Unterricht karikiert hatte, meinte, er könne mit der Malerei sein Brot verdienen. „Aber er hat sich getäuscht. Ich konnte und wollte nie davon leben“, so der Künstler.

Studium an der Akademie
Nach dem Krieg hat Henkelmann dann intensiv mit der Malerei begonnen und sich von Rothenburger Künstlern die nötigen Korrekturen geholt: Ging es um Landschaften, dann wandte er sich an Max Ohmayer, bei Figürlichem an Konstantin von Collande und bei Kopfstudien an Rollbühler.

Das Atelier des Künstlers im Obergeschoss seines Hauses.


Ab 1949 hat er an der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg studiert. „Im Sommer habe ich auf dem Bau gearbeitet, im Winter studiert“, erinnert er sich. Sein Auskommen war mehr als spärlich, daher entstanden in dieser Zeit auch nur Zeichnungen. Für Farbe hatte der junge Künstler einfach kein Geld. „Ich habe in einem Wirsthaus im Dach unter den Ziegeln geschlafen“, erzählt Henkelmann. Bis spät in die Nacht saß er in der Wirtsstube und zeichnete die Menschen, „denn hier war es warm“.
Um Geld zu verdienen begann er nebenher als Reisender Bücher zu verkaufen. Das misslang „und so kam ich zu vier verlorenen Jahren“, merkt er an. Besser lief es, als er begann für amerikanische Clubs Plakate und Dekorationen zu malen. Damit war gutes Geld verdient und so baute er sich ab 1955 ein eigenes Atelier in der Köhlerstraße in Rothenburg.
„1960 kam dann die große Zäsur“, erinnert sich Werner Henkelmann. Vermutlich durch eine Virusinfektion wurde er querschnittgelähmt. Monatelang hat er im Krankenhaus in Würzburg gelegen. „Ich war ein junger Kerl, 33 Jahre alt, wollte malen und nebenbei Geld verdienen“, sagt er. Das ging nun nicht mehr.
Die Kunst ist das zentrale Element in Henkelmanns Leben. Kunst ist für ihn nie Selbstzweck, sondern bedeutet Kommunikation. „Ich wollte nie schöne Bildchen malen, sondern Bilder, wie ich sie mir vorstelle“, stellt er fest. In der Nachkriegszeit ließen sich die Künstler von den Malern vor 1933 inspirieren. So auch Henkelmann. Van Gogh gehörte ebenso dazu wie Picasso, Mattisse oder Max Beckmann, dem 1950/51 eine große Ausstellung in München gewidmet wurde. Bei Werner Henkelmann kam noch das Interesse für archaische Figuren und Plastiken und für die Kunst der präkolumbischen Kulturen dazu.
Mit der Querschnittlähmung war das Leben aber nun nicht mehr so einfach. Werner Henkelmann bildete sich beruflich weiter und war bis 1978 als Baukalkulator und -techniker aktiv. Er hat gut verdient, in den 1970er Jahren ein altes Dorfschulhaus gekauft, zu Wohnungen umgebaut und wieder veräußert. Mit Anfang 50 konnte er in Frührente gehen und hatte mittlerweile einiges an Geld erwirtschaftet. „Nun war ich da, wo ich hin wollte“, so Henkelmann. Er war finanziell unabhängig und konnte malen.
Seit 1947 hat Werner Henkelmann gezeichnet, dazwischen kamen Aquarellarbeiten dazu. In den 80er Jahren entstanden dann seine Ölgemälde. Er hatte eine Wohnung in Nürnberg, ein
Atelier in Rothenburg und ein Apartment auf Teneriffa.

Reisen mit dem Wohnmobil
In seiner neu gewonnen Freiheit ermöglichte er sich einen Traum: Er reiste 1980 ein Jahr mit dem Wohnmobil durch Amerika. Seine Behinderung hat ihn nicht abgehalten. „Ich habe ein Handgerät mitgenommen und mir dort ins Wohnmobil einbauen lassen“, stellt er kurz und bündig fest.
Von Kanada über die Westküste, die Rocky Mountains bis nach Mexiko ist er gefahren. Das Nationalmuseum für Anthropologie in Mexico City hat ihn tief beeindruckt. Reiseskizzen und Aquarelle sind hier entstanden. Auf die Wohnmobiltour durch die USA folgten von 1981 bis 1991 in den Sommermonaten mehrere Europatouren mit dem Wohnmobil, dann mit seiner Lebensgefährtin, die vor zwölf Jahren gestorben ist. „Vom Nordkap bis nach Griechenland waren wir unterwegs“, so Werner Henkelmann. Im Sommer hat er aquarelliert und gezeichnet, im Winter übersetzte er seine Arbeiten dann in Öl.
Damals wurde er auch zur Ausstellung des Künstlerbundes ein-
geladen. Er hat einen kubistischen Akt und einen Landschaftsblick ausgestellt. „Das gab einen Aufstand. Das hat nicht gepasst“, sagt er. Darauf folgte noch ein weiteres, kurzes Ansinnen aber die Zusammenarbeit verlief nicht harmonisch. „Mich hat stets die Malerei interessiert, nicht die Ausstellung“, kommentiert er.
In den 90er Jahren „wollte ich dann was für mich tun“, so Werner Henkelmann. Also hat er sein Hab und Gut verkauft und fünf Jahre Rehamaßnahmen in verschiedenen Anlagen gemacht und vorwiegend Aquarelle gemalt. Als es wieder Zeit wurde sesshaft zu werden, mietet er sich in eine Wohnung in der Zierleinstraße und begann mit seinem Vermögen an der Börse zu spekulieren. „Ich hatte etwa 500 000 Euro und machte daraus mehrere Millionen“, erzählt er. Er habe viel Glück gehabt, „aber das meiste Geld wieder verschussert“, fügt er schmunzelnd an.

Heute lässt Werner Henkelmann Gemälde wie dieses am Computer entstehen.


Mit einem Teil des Geldes hat er im Jahr 2000 sein Haus im Heckenacker in Rothenburg gebaut, mit einem großen Schwimmbad, um die nötigen Rehaanwendungen zuhause machen zu können. Gemeinsam mit seiner Frau Nona lebt Werner Henkelmann seitdem inmitten seiner Bilder. In seiner Wohndiele sind die doppelgeschössigen Wände komplett mit Ölgemälden und Aquarellen behängt.
Es sind die Künstler und Kunstströme des beginnenden 20. Jahrhunderts, die in Ansätzen in seinen Bildern durchschimmern: Die Expressionisten, der Kubismus und
das Spannungsverhältnis von Form, Farbe, Rhythmus und Komposition gepaart mit Ironie und Blasphemie. Aus all diesen Einflüssen hat Werner Henkelmann aber eine eigene Ausdrucksform geschaffen. „Ich male frei Schnauze“, ist sein Credo.
Eine Gruppe nackter Frauen mit übergroßen Händen spielen Karten und jedes kompositorische Element sitzt an der passenden Stelle. Daneben hängt eine Darstellung des Plönleins: Das Aushängemotiv Rothenburgs wird in seinem Gemälde zur Kulisse für eine Dessouswerbung in Anlehnung an die 20er Jahr. Mehrere Vatianten des „Nite-Club“ gibt es zu sehen.
Zentrales Element der Ölgemälde ist der weibliche Akt. „Das ist mir aus der Zeit der Akademie hängen geblieben“, erklärt der Künstler. Henkelmann braucht die Figur als Bezug, um mit der Kunst kommunizieren zu können.
Aber nicht nur die farbintensiven Ölbilder in seinem Wohnzimmer beeindrucken. Im Eingang seines Hauses haben seine ersten künstlerischen Schritte ihren Platz erhalten. Klassische Bleistiftzeichnungen vom Plönlein, von Naturszenarien, von Menschen in Kostümen. Schon hier wird klar, das kann nur ein Anfang gewesen sein, ein vorsichtiges Herantasten an die Wucht der Kreativität, die eine künstlerische Ausducksmöglichkeit sucht.
Wieviele Werke er geschaffen hat, kann Werner Henkelmann heute nicht mehr nachvollziehen. Einen großen Teil seines Oeuvres haben Kunstkenner aus seinem familiären Umfeld fotografisch erfasst und in ein Fotobuch gebunden, durch das sein Wirken nun an die Öffentlichkeit gekommen ist.
Vor einigen Jahren schon hat Werner Henkelmann mit der aktiven Malerei aufgehört. Nun hat er den Computer als Medium entdeckt und schafft mit moderner Technik digitale Kunstwerke, die geprägt sind von größtmöglicher Reduktion in der Farb- und Formensprache.
Mit 91 Jahren blickt er auf ein Leben mit Höhen und Tiefen zurück. „Auf Umwegen ist mir gelungen, was ich immer machen wollte“, sagt er: „Frei und unabhängig malen.“

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