Wo die Menschen lebten
1. August 2025
Wo die Menschen lebten
Stolpersteine erinnern an Rothenburger NS-Vertriebene
Überall in Europa erinnern sich Menschen an verschiedenen Orten an die Opfer des Nationalsozialismus. In Rothenburg gab es einmal aktives jüdisches Leben. Judenverfolgungen gab es jedoch auch schon lange vor der NS-Zeit.
Laut dem Bericht von Rothenburgs Tourismus- und Pilgerpfarrer Dr. Oliver Gußmann im Sonderdruck Band 7 „Geschichte und Kultur der Juden in Rothenburg o.d.T. Franconia Judaica" unternahm der ehemalige Chefredakteur des „Fränkischen Anzeigers" Dieter Balb vorsichtige Schritte zur Aufarbeitung der jüdischen Geschichte der Stadt seit 1980.
Er machte Befragungen von noch lebenden Zeitzeugen und veröffentlichte Zeitungsausschnitte aus dem Archiv. Daraufhin gedachte man im Jahr 1993 dem 700-jährigen Todestag von Rabbi Meir von Rothenburg und richtete im Reichsstadtmuseum die „Judaica-Abteilung" ein. 1998 wurde im Burggarten ein Denkmal aufgestellt, das an das Rintfleisch-Pogrom von 1298 erinnert. Es war der fränkische Auftakt zu den großen Verfolgungswellen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, dessen Anführer der Röttinger Metzger „Rintfleisch" war.
Seit 1875 gab es in Rothenburg eine aktive jüdische Gemeinde, die bis zur Vertreibung der jüdischen Bürger am 22. Oktober 1938, also zwei Wochen vor der Pogromnacht am 9. November 1938, bestand.
Heute erinnert die alljährlich stattfindende „Jüdische Woche" an die Vertriebenen in dieser Zeit. Seit 2002 gibt es eine bronzene Erinnerungstafel von Peter Nedwal im Rabbi Meir-Gärtchen. Im Jahr 2008 enthüllte die frühere Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch eine Gedenktafel an dem früheren Betsaal in der Herrngasse 21.
„Stolpersteine" auf den Gehwegen
Heute sollen Menschen zudem in Rothenburgs Gassen immer wieder über kleine Gedenksteine, „stolpern". Die sogenannten „Stolpersteine", das sind Pflastersteine, die in den Gehsteigen vor Wohnhäusern integriert sind, in denen ehemals NS-Vertriebene im friedlichen Miteinander mit den Rothenburgern zusammengelebt haben. Sie erinnern nicht nur an jüdische, sondern auch an Bürger von Randgruppen wie Sinti und Roma.
Initiator der goldglänzenden Mahnmale ist der in Berlin geborene Kunstpädagoge Gunter Demnig, der die Idee zu den kleinen Kunstdenkmälern in den Jahren 1992/93 entwickelt hatte. „Ich bin im Jahr 2012 durch Berichte darauf aufmerksam geworden und habe mir dann gedacht, das wäre auch gut für die Stadt Rothenburg. Ich fragte Diakon Fleckenstein aus Aub, wie die Stolpersteinverlegung in Aub vonstattengegangen war und habe schließlich den damaligen Oberbürgermeister Walter Hartl dazu angeregt, die Idee im Stadtrat zu vertreten", erinnert sich Dr. Oliver Gußmann. Den Anstoß zu dem Projekt in Rothenburg haben Bürger der Stadt an die Arbeitsgruppe „Jüdisches Rothenburg" gegeben. „Bereits die Schuhaktion, mit der die Arbeitsgruppe „Jüdisches Rothenburg" am 22. Oktober 2011 an die Vertreibung der Juden vom Oktober 1938 erinnerte, ist bei den Hausbesitzern und Mietern auf eine überwiegend positive Reaktion gestoßen, sodass viele Rothenburger sich nun auch für die Einrichtung von sogenannten „Stolpersteinen" des Künstlers Gunter Demnig interessierten", ist im Bericht von Dr. Oliver Gußmann zu lesen.
Die Gedenksteine sind 96 x 96 x 100 mm kleine Betonblocks, die mit handgefertigten Messingplatten versehen sind. Der Betrachter wird auf seinem Weg durch die Straßen auf die Inschrift aufmerksam: „Hier wohnte..." oder „Hier lebte....". Es folgen Name, Geburtsjahrgang, häufig das Deportationsjahr und der Todesort. Die kleinen Wegbegleiter sollen den Passanten zum Nachdenken anregen.
Unter dem Motto „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", hielt Gunter Demnig einen Vortrag zur geplanten Verlegung der „Stolpersteine" am 26. April 2013 im Städtischen Musiksaal in Rothenburg. Seitdem haben die kleinen Pflastersteine ihren Platz vor den Eingangstüren ehemaliger, vertriebener Einwohner gefunden.
Teil der Stolperstein-Idee des Künstlers war es, die Recherche der ehemaligen jüdischen Bürger und deren Wohnhäuser in den Geschichtsunterricht der ortsansässigen Schulen zu integrieren. Auch in Rothenburg wurden die Wohnobjekte und ihre Bewohner mithilfe von Lehrern und Schülern des Reichsstadt-Gymnasiums der Stadt recherchiert, um die „Stolpersteine" entsprechend beschriften lassen zu können. Von zwanzig möglichen wurden zehn „Stolpersteine" tatsächlich gelegt. Denn die Voraussetzung zur Steinverlegung war es, dass die heutigen Hausbesitzer ihre Zustimmung geben mussten, was nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.
Der erste Ort der Verlegung durch den Künstler Gunter Demnig war vor dem Haus in der Herrngasse 21, in dem einst das jüdische Bethaus untergebracht war. Hier sind gleich vier „Stolpersteine" in den Gehweg integriert worden. Weitere Steine wurden in der Kirchgasse 1, der Judengasse 22, der Neugasse 34 und in der Oberen Schmiedgasse 15 gelegt. Manchmal gibt es Einwände gegen die kleinen Gedenktafeln am Boden. So als würden die Namen der Vertriebenen mit Füßen getreten. Gemeint ist es allerdings völlig anders. Der Name eines Mitbürgers soll für immer im Gedächtnis bleiben, genau an dem Ort, an dem er einmal zu Hause war.
Das Schöne an den „Stolpersteinen" ist, dass es Menschen in Rothenburg zum Gespräch über die Achtung der Menschenrechte und über Rothenburgs Verantwortung als Stadt der Vielfalt anregt. Sie zeigen, dass sich die Bewohner mit der Geschichte kritisch auseinandersetzen und nichts unter den Teppich kehren. Und die Namen der Vertriebenen erhalten ein ewiges Andenken. Heute sind es bereits 40.000 Stolpersteine von Gunter Demnig, die europaweit verlegt wurden. Es ist ein Projekt, das an vertriebene Juden, Sinti, Roma, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas und Euthanasieopfer im Nationalsozialismus erinnert. Es sind Opfer einer Geschichte, die sich hoffentlich niemals wiederholt.
Allgemein Informationen zum Thema „Stolpersteine" des Kunstschaffenden Gunter Demnig stehen im Internet unter: www.stolpersteine.eu. ul