Kunst im Zentrum
11. Januar 2023
Kunst im Zentrum
Künstlerbund wird 100
Es ist wie bei einem Menschenleben: Es gibt Blütezeiten, Momente, wo alles gelingt, und ebenso kritische Phasen, die es zu überstehen gilt. Heuer wird der Künstlerbund 100 Jahre alt. Einen Vorteil gegenüber den Menschen hat der Verein allerdings: Sogar mit 100 kann er sich nochmal neu erfinden.
Carmen Hiller, seit 2021 erste Vorsitzende des Vereins, sagt: „Wir möchten, dass die Kompetenzen der Künstler vor Ort wieder gesehen und auch genutzt werden.“ Dass der Verein auf einem guten Weg ist, zeigt die letzte, gut besuchte Vernissage im November. „Die Scheiben im Fleischhaus waren wieder von innen beschlagen“, erzählt Kurator Maximilian Lechler schmunzelnd. Das kannte man aus früheren Zeiten.
Der Verein hat aktuell 37 aktive Mitglieder und will sich im Jubiläumsjahr mit mehreren Ausstellungen und Aktionen zeigen. „Ende März, ab Gründonnerstag, ist ein Jubiläumsrückblick geplant“, sagt Carmen Hiller. Von den Gründungsjahren über die Haltung des Vereins im Nationalsozialismus („Es wird nichts ausgeklammert“, so Lechler) und die verdienstvollen Jahre des Wiederaufbaus bis in die neueste Zeit soll das Spektrum reichen. Die Organisatoren hoffen, von jedem Jahrzehnt Werke namhafter Künstler zeigen zu können. Mit Anekdoten und humorvollen Schlaglichtern soll der kunstfertige Rückblick begleitet werden.
In den Sommermonaten folgt dann eine Gastausstellung mit Werken von Künstlern anderer Kulturinstitutionen. Bereits in der ersten, handgeschriebenen Satzung des Vereins aus dem Jahr 1923 wurde der Gedanke der Gemeinsamkeit festgehalten. „Vernetzung und Austausch von Kunst und Kultur in der Region soll wieder ein fester Teil des Vereinsgeschehens werden“, erläutert die erste Vorsitzende. Den Jahresabschluss bestreiten dann wieder die Vereinsmitglieder mit einer Ausstellung in der Vorweihnachtszeit. Alle Ausstellungen sind im Jubiläumsjahr etwas länger als üblich zu sehen.
Zusätzlich gestaltet der Künstlerbund eine Art Flyer, der alle Orte des öffentlichen und halböffentlichen Raums in Rothenburg darstellt, wo Werke von Künstlern des Künstlerbundes zu sehen sind. „Man kann so auf eigene Faust losziehen und Kunst erleben“, so Carmen Hiller. Außerdem gibt es einen Schülerwettbewerb, an dem alle Schulen teilnehmen können. In den Herbstferien soll daraus eine Ausstellung erstellt und gezeigt werden.
Bei der letzten Mitgliederausstellung im November und Dezember wurde das vielschichtige Portfolio des Vereins sichtbar. Von Kleinplastiken, Keramikobjekten, Bronzeguss, Stein- und Metallskulpturen über Schneiderarbeiten, Collagen, Fotokunst und -montagen, Argentotypie und Filzarbeiten bis hin zu grafischem Linoldruck oder Lichtkunstobjekten reicht das Spektrum. „Die Besucher kommen zahlreich“, stellt Maximilian Lechler fest.
Grund dafür mag auch die neue Optik in den Ausstellungsräumen sein. Seit 1954 hat der Künstlerbund ein festes Zuhause im Fleischhaus, einem der ältesten Gebäude direkt beim Herterichbrunnen am Marktplatz. Die einstigen Stellwände sind verschwunden und in Reminiszenz an die frühere Nutzung der Räume als Fleischhalle hängen die Gemälde und Kunstobjekte an echten Fleischhaken. Skulpturen sind nicht vorsichtig an die Wand gestellt, sondern können frei umschritten werden. Modernität hat sich in den Ausstellungen mit der Tradition verbunden.
Gegründet wurde der Künstlerbund im Jahr 1923. Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten Künstler den Charme der mittelalterlich geprägten Stadt entdeckt. Toulous-Lautrec, Bancroft, Kandinsky und andere große Namen haben hier gewirkt oder sich inspirieren lassen. Kunst hatte also einen Stellenwert.
Die Gründungsmitglieder des Vereins Arthur Wasse, Wilhelm und Rudolf Schacht, Peter Philippi, Adolf Hoße, Gustav Lüttgens, Paul Lumnitzer und Hans Prentzel definierten den Vereinszweck 1923 daher in der Förderung der Interessen der in Rothenburg ansässigen oder tätigen bildenden Künstler durch gemeinsame Ausstellungen.
Die Stadt begrüßte die Initiative und stellte dem Verein ab 1954 das Fleischhaus zur Verfügung. Nach dem Krieg spielte der Künstlerbund, der als nationalsozialistische gleichgeschaltete Institution durch die NS-Diktatur kam, eine besondere Rolle im Wiederaufbau der Stadt. Einerseits wurden Vertreter als Berater hinzugezogen, andererseits spendete der Verein großzügig an die Stadt. Allein von März 1946 bis Dezember 1947 kamen Besuchereintritte in Höhe von 45 000 Reichsmark zusammen, die der Verein an die Stadt gab (aus www.rothenburg-unterm-hakenkreuz.de).
Der Künstlerbund startet wieder mit guten Ideen durch. Die Aktivitäten generieren Aufmerksamkeit. Neue Künstler schließen sich an und der frische Wind lockt die Gäste. Ein echter Aufbruch in das zweite Jahrhundert.
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