Volksbildung und Forschung Mrz09


Volksbildung und Forschung

Das Sängermuseum in Feuchtwangen widmet sich dem Amateurchorwesen

Mitten in Feuchtwangen gibt es ein Museum, das in ganz Deutschland einzigartig ist: Das Sängermuseum. Es ist das einzige Chormuseum Deutschlands und gleichzeitig das Forschungszentrum mit dem weltweit größten Archiv zur Geschichte des deutschen Amateurchorwesens von den Anfängen bis in die Gegenwart. Der Motor, der das Haus zu dieser Strahlkraft gebracht hat, ist Prof. Dr. Friedhelm Brusniak. Von 2004 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2019 war er Inhaber des Lehrstuhls für Musikpädagogik an der Universität Würzburg. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Sängermuseums und hat dieses aufgebaut. Von 2010 bis 2018 hat er die Entwicklung der Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens geleitet und ist stellvertretender Vorsitzender der Stiftung. Neben vielen Ehrenämtern leitet er seit 2018 das An-Institut Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens an der Uni Würzburg.

Von der Entwicklung des Chorwesens, von der Prägung demokratischen Gedankenguts durch Sängerverbindungen oder auch von der Kraft eines gemeinsamen Ideals erzählt er mit einer Begeisterung, deren Funke sofort überspringt. Sowohl für Feuchtwangen, als auch für ihn selbst war die Realisierung eines Sängermuseums wegbereitend. In den beiden Ausstellungsräumen des Museums, die etwa ein Drittel der zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten einnehmen, werden die Besucher von einer kostbaren Fahne empfangen, die aus dem Jahr 1861 stammt.

Prof. Dr. Friedhelm Brusniak in den Ausstellungsräumen des Sängermuseums. Die Fahne stammt aus dem Jahr 1861 und hat einen besonderen ideellen Wert. Foto: am

Prof. Dr. Friedhelm Brusniak in
den Ausstellungsräumen des Sängermuseums. Die Fahne stammt aus dem Jahr 1861 und hat einen besonderen ideellen Wert. Foto: am

Bei dem Sängerfest 1861 in Nürnberg sollte der Deutsche Sängerbund gegründet werden. Auch wenn die Gründung letztlich erst ein Jahr später in Coburg stattfand, so ist die Größe der damaligen Bewegung auch an einem ebenfalls im Museum gezeigten Stahlstich von besagtem Treffen nachvollziehbar: Über 5 000 Sänger und an die 60 000 Besucher drängten damals in die Nürnberger Festhalle. „Neben den Sport- und Schützenvereinen war das Singen eine Massenbewegung“, so Brusniak.

Dem Musikwissenschaftler liegt es am Herzen, mit der Entwicklung des Chorwesens auch die Entstehung und Festigung demokratischer Grundzüge aufzuzeigen. Das handgeschriebene und -gezeichnete Original der Zelter Liedertafel bildet dafür einen Ausgangspunkt. Die Liedertafel, eine Art Tafelrunde, wurde 1808 durch Carl Friedrich Zelter, dem Direktor der Sing-Akademie zu Berlin, gegründet und stellt den ersten bürgerlichen Männerchor dar. Die festgehaltene Sitzordnung zeigt, dass hier erstmals eine Verbindung von Gleichgesinnten unterschiedlicher Stände möglich war. An der Wand darüber ist ein Zitat von „Sängervater“ Karl Pfaff beim schwäbischen Liederfest 1827 zu sehen: „… und niedersinken vor des Gesanges Macht der Stände lächerliche Schranken …“. Gesangvereine trieben also schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Emanzipation des Bürgertums voran. Die Darstellung der Arbeitergesangvereine im Museum, die als erste Frauen aufnahmen, untermauert diese Entwicklung.

Aber auch die Macht des Gesangs in Kriegszeiten hat Widerhall im Museum gefunden. Ein handschriftliches Liederbuch aus der Gefangenschaft, das in der zweiten Strophe von „Alle meine Gedanken“ die Adressen der Mitgefangen enthält, ist ein außergewöhnliches Zeitdokument. „Es gibt Geschichten zu erzählen, die weit über das Chorwesen hinaus gehen“, erklärt Prof. Dr. Brusniak.

Diverse Autografen (eigenhändige Niederschriften bekannter Persönlichkeiten) oder frühe Erstdrucke u.a. von Anton Bruckner, Johannes Brahms, Franz Schubert, dem Schweizer Musikpädagogen Hans Georg Nägeli sowie zahlreiche Briefe von Franz Liszt oder auch die handschriftliche Chronik des „Sängerkranz Nürnberg“ mit authentischen Berichten über das Tagesgeschehen sind im Besitz des Museums. Die öffentlichen Ausstellungsräume auf zwei Etagen geben einen kleinen, didaktisch gut aufbereiteten Einblick in die vielfältigen Facetten des Amateurchorwesens.

Feuchtwangen hat einen der ältesten Gesang- und Musikvereine, gegründet im Jahr 1827. Im Rahmen eines Jubiläums kam einst die Idee auf, ein Museum in Feuchtwangen zu etablieren. Brusniak hat sich damals an der Universität Augsburg bereits mit Forschungen zum Chorwesen einen Namen gemacht und konnte zum Aufbau des Museums gewonnen werden. „Am Anfang war da nur ein leerer Tisch, ein paar Bleistifte, ein kleiner Stapel Papier und ein grünes Telefon“, erinnert er sich.

In Feuchtwangen waren allerdings alle Originalunterlagen seit Gründung des Gesangvereins vorhanden. Gemeinsam mit seiner eigenen Forschungsbibliothek konnte der Wissenschaftler mit einem profunden Grundstock an die Arbeit gehen. Im Jahr 1989 wurde das Museum gegründet und bereits im Juni 1990 stand die erste Sonderausstellung. Friedhelm Brusniak ist Wissenschaftler mit Leib und Seele. Für ihn war von Anfang an klar, dass hier nicht nur ein kleines Museum entstehen soll, sondern auch Platz für die Forschung sein muss. Seit der Zerstörung des Deutschen Sängermuseums in Nürnberg im Jahr 1945 gab es keine entsprechende Institution mehr. Über 3 000 Autografen bedeutender Künstler und kulturgeschichtliche Zeugnisse konnten damals gerettet werden, waren aber nicht zentral erfasst. Das Feuchtwanger Sängermuseum hat daher die Nachfolge des zerstörten Deutschen Sängermuseums in Nürnberg angetreten. Etwa zwei Drittel der Räumlichkeiten in Feuchtwangen stehen dem Archiv, dem Depot und dem Forschungszentrum zur Verfügung. In 1 500 laufenden Archivmetern ist alles aufbewahrt, was das Amateurchorwesen in Deutschland prägt.

Erfassen, Katalogisieren, Digitalisieren gehörten zum Alltag des „Museums“. Aktuell ist Norbert Schmidt der einzige Museumsmitarbeiter. Die Stelle des Archivars ist momentan vakant. Beinahe täglich gibt es Anfragen von Vereinen, die ihre Historie bewahrt haben möchten. Da heißt es dann auch, entscheiden, was von Bedeutung für das Archiv ist. „Wir arbeiten auf sehr hohem Niveau und erfassen nach internationalen Standards“, erklärt Brusniak. Wissenschaftler aus dem In- und Ausland wenden sich bei Forschungen zum Amateurchorwesen an das Feuchtwanger Forschungs- und Dokumentationszentrum.

Erfolg durch Zusammenhalt
„Diese Institution wäre niemals zu dem geworden, was sie ist, ohne die Unterstützung vor Ort“, weiß Prof. Dr. Friedhelm Brusniak. Getragen wird sie von der Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens, die sich der Sammlung, Bewahrung sowie der Vermittlung bedeutender Zeugnisse des Chorgesanges verpflichtet fühlt. Die private Stiftung ist Träger sowohl des Sängermuseums wie auch des Archivs und des Forschungszentrums. Beteiligte Stifter sind der Deutsche Sängerbund e.V., der Fränkische Sängerbund e.V., der Förderverein Sängermuseum des Fränkischen Sängerbunds 1987 e.V und die Feuchtwanger Industriellenfamilie Kurz. „Helma Kurz hat über viele Jahre ehrenamtlich die Büroarbeiten übernommen“, so Brusniak.

Für den Vorsitz des Stiftungsrats konnte Bundespräsident a.D. Christian Wulff gewonnen werden, der schon zu Besuch im Museum war. Brusniak erinnert sich, dass er die Exponate des Museums, die sich mit dem Chorwesen in der Zeit des Nationalismus beschäftigen, sehr interessiert betrachtete.

Das Sängermuseum Feuchtwangen (Am Spittel 2–6) ist Mittwoch bis Freitag von 10 bis 12Uhr und von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Wochenende und feiertags für Gruppen ab 10 Personen nach Vereinbarung (Tel.: 09852-4833).
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