Auf Augenhöhe Jun01


Auf Augenhöhe

Dr. Mathias Braun hat Menschen weltweit beraten

Er kennt den Sudan, Tansania und Ghana, den indonesischen Inselstaat Timor-Leste, Togo und Kenia. In allen Ländern hat Dr. Mathias Braun gelebt. Über 30 Jahre lang war der Rothenburger für die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH) in mehreren Entwicklungsländern im Einsatz. Braun mag den Ausdruck Entwicklungshilfe nicht besonders. Der Begriff Hilfe hat für ihn etwas Überstülpendes. Er bevorzugt das Wort Entwicklungszusammenarbeit. „Denn Zusammenarbeit funktioniert nur auf Augenhöhe“, sagt er.

Landwirt statt Hotelier
Mathias Braun ist im Herzen Rothenburgs aufgewachsen. Seinen Eltern gehörte das Hotel „Tilman Riemenschneider“ am Weißen Turm. „Mein Zimmer war im obersten Stockwerk“, erinnert er sich. Das Hotel zu übernehmen kam für ihn aber nicht infrage. „Ich hatte eine große Liebe zur Landwirtschaft und wusste, dass meine Schwester das Hotel weiterführen würde“, erzählt er.

Hier ist er aufgewachsen: Dr. Mathias Braun vor dem Hotel Tilman Riemenschneider in Rothenburg. Foto: am

Hier ist er aufgewachsen: Dr. Mathias Braun vor dem Hotel Tilman Riemenschneider in Rothenburg. Foto: am

Braun ging daher an die Uni Hohenheim und studierte Agrarwissenschaft. Schon während des Studiums knüpfte er Kontakte zur GIZ (damals noch GTZ). Die GIZ ist eine Organisation der Entwicklungszusammenarbeit, die im Auftrag mehrerer Ministerien der Bundesrepublik Deutschland international tätig ist.

Die Feldarbeit für seine Dissertation hat Mathias Braun dann im Sudan gemacht. Sein Thema „Der kleinbäuerliche Gemüseanbau im Sudan“ führte ihn tief hinein in eines der ärmsten Länder. „Ich bin in Gebiete gekommen, wo ich der erste Weiße war“, erzählt er. Er hat zweieinhalb Jahre unter Einheimischen gelebt und deren Sprache Sudanesisch-Arabisch gelernt. „Das war gleich zu Beginn eine harte Schule“, erinnert er sich.

Mit 31 Jahren, im Jahr 1987, hat er dann seine hauptberufliche Laufbahn bei der GIZ begonnen. Er blieb im Sudan und arbeitete in der Hauptstadt Khartum.
Die Sudanesen hat er als besonders nette Menschen kennengelernt. Er erinnert sich an eine Überlandfahrt im Bus, wo ihm sein Portemonnaie gestohlen wurde. „Das war den Mitfahrern so peinlich, dass sie Geld für mich gesammelt haben, obwohl sie selbst sehr arm waren“, erzählt er. Insgesamt neun Jahre arbeitete er im Sudan. Sein längster Aufenthalt in einem Entwicklungsland.

Gute Stressresistenz
„Der Sudan ist vielleicht das Land, das ich am besten kenne“, meint er. Gleichzeitig stellt er mit seinem heutigen Wissen fest, dass neun Jahr zu lang waren. „Der Blick von außen ist in der Entwicklungszusammenarbeit oft sehr nützlich, vor allem wenn es darum geht, Innovationen anzustoßen“, erklärt er. Je länger man in einem Land lebt, desto betriebsblinder wird der Mensch. Etwa fünf bis sechs Jahre seien eine gute Aufenthaltsdauer, so Braun.

Nach seiner Zeit im Sudan, wo er zwei Putsche erlebt hat, ging er nach Tansania. In der Praxis sieht das so aus, dass die GIZ Stellen ausschreibt, auf die sich die Mitarbeiter bewerben. Neben der fachlichen Qualifikation muss man für so einen Job stressresistent sein. Fremde Kulturen, die Hitze, geringere Sicherheitsstrukturen und auch die Verständigung in einer fremden Sprache muss gemanagt werden. „Ich habe mir immer Mühe gegeben, die Landessprache zu lernen“, so Mathias Braun.

In Tansania hat er als Agrarfachmann mit drei weiteren Deutschen und einheimischen Kräften Projekte im Bereich Pflanzenschutz und später auch den Anbau von Bio-Baumwolle moderiert und organisiert. Die Zielgruppe vor Ort umfasste etwa 100 000 Personen. Für eine aussichtsreiche Entwicklungszusammenarbeit erheben die Mitarbeiter der GIZ erst den Bedarf. Aus diesen Erhebungen folgen dann Analysen und Planungen.

„Wir haben damals 500 Bauern befragt“, erinnert sich Braun. Was heute als Selbstverständlichkeit gilt, war einst eine Herausforderung, denn in Entwicklungsländern gab es nur schlechte Infrastrukturen und das Internet war noch nicht vorhanden.

Mathias Braun hat in Tansania gemeinsam mit dem Team das Projekt Bio-Baumwollanbau realisiert, erstmals in Kooperation mit dem Otto Versand. „Das wurde ein großer Erfolg und läuft noch heute“, erzählt er und fügt an: „Damals habe ich gelernt, dass es neben dem technischen Ansatz auch andere Faktoren braucht, damit sich etwas entwickelt.“ Nur die Verbindung von ökonomischen, soziologischen und technischen Faktoren führt nach seiner Meinung zu einem nachhaltigen Wandel.

Und noch ein anderes Erlebnis in Tansania hat sein Leben verändert. Die Planung der Entwicklungszusammenarbeit wurde von einheimischen Moderatorinnen begleitet. „Dabei habe ich meine Frau Stella kennengelernt“, erzählt er lächelnd.

Dr. Mathias Braun und sein Team haben auch Fortbildungen für Jugendliche organisiert, die von einheimischen Fachleuten geleitet wurden. „Da hat sich während meiner Zeit viel geändert. Früher wären das nur ausländische Experten gewesen“, erzählt Braun. Foto: Nderitu

Dr. Mathias Braun und sein Team haben auch Fortbildungen für Jugendliche organisiert, die von einheimischen Fachleuten geleitet wurden. „Da hat sich während meiner Zeit viel geändert. Früher wären das nur ausländische Experten gewesen“, erzählt Braun. Foto: Nderitu

Rothenburg als Anker
Von Tansania aus zog die Familie dann 1997 nach Ghana. Der Schwerpunkt seines Einsatzes lag hier im Bereich Pflanzenschutz und der neu aufkommenden Frage des kommerziellen Fruchtanbaus. Braun war dort der Chef des gesamten Projekts der GIZ. „Eines der Hauptziele der GIZ ist die Armutsbekämpfung“, erklärt er.

In Ghana brauchten die Bauern u.a. eine Zertifizierung für den europäischen Markt, um Früchte wie Mango, Ananas oder Papaya zu vermarkten. Entwicklungszusammenarbeit bedeutet in diesem Kontext auch, einen Weg zu finden, um den Benachteiligten einen fairen Zugang zum Markt zu ermöglichen, ohne den Bevorzugten mehr Vorzüge zu verschaffen. Aber auch hier stand nach gut fünf Jahren ein Wechsel an und die Familie entschied sich für Deutschland.

Mathias Braun arbeitete in der deutschen Zentrale der GIZ in Eschborn bei Frankfurt und die Familie lebte ab 2003 in Rothenburg. „Ich wollte ein Zuhause für unsere drei Kinder “, erklärt er. So wurde Rothenburg, das stets der zentrale Anker im Leben der Brauns blieb, wieder zum Lebensmittelpunkt. Aber die Abenteuerlust, die für Mathias Braun eine der Antriebsfedern in seinem beruflichen Werdegang ist, ließ nicht lange auf ihre Wiederkehr warten. „Ich wollte wieder raus“, erinnert er sich.

Im Jahr 2008 zog er mitsamt Familie nach Timor-Leste, einem südostasiatischen Inselstaat mit einer guten Million Einwohner. Braun hatte dort die Funktion des Koordinators der Entwicklungszusammenarbeit im ganzen Land.

Die Mediation des Friedensprozesses, z.B. die Schlichtung von Justizfällen sowie der Wegebau, der Ausbau der Infrastruktur und natürlich die Landwirtschaft gehörten zum Portfolio der Projekte. Braun hatte ein Team von bis zu zwölf ausländischen Experten und 50 einheimischen Fachkräften. „Deutsche Qualität wurde dort sehr geschätzt“, erzählt er.

Er selbst hat sich für den Anbau von Kakao stark eingesetzt. „Für mich als Landwirt ist es sehr befriedigend zu sehen, dass das Land nun eine kleine Kakaoproduktion hat“, sagt er. Seine Familie blieb nur ein Jahr in Timor-Leste, denn die Schulen entsprachen dort nicht dem gewünschten Standard.

30 Jahre in Entwicklungsländern haben den Blick von Mathias Braun auf Deutschland geprägt: Man lernt zu schätzen, dass die Dinge hier funktionieren, ohne dass man nachhelfen muss. Das Schulsystem in Deutschland bietet allen Kindern eine gleich gute Ausbildung und jeder hat Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitssystem. In Deutschland ist die Polizei Teil der Gesellschaft, wobei man in Entwicklungsländern der Polizei möglichst aus dem Weg geht, so ein Résumé.

Klimawandel selbst erlebt
Nach Timor-Leste zog es Mathias Braun von 2012 bis 2018 nach Togo. Das Land war im Neuaufbau nach Jahren des Chaos. Als Koordinator im landwirtschaftlichen Bereich hat er verschiedene Projekte geleitet. Darunter war die Wiedereinführung der Cashewplantagen für Kleinbauern.

„Der Anbau von Cashewbäumen ist gerade im Hinblick auf den Klimawandel interessant“, weiß er. Durch seinen jahrzehntelangen Einsatz in Krisengebieten hat er die Auswirkungen des Klimawandels selbst hautnah erlebt: „Die Regenzeiten verschieben sich und Extremwetterlagen nehmen zu“, stellt er fest.

Von Togo ging er 2018 nach Kenia, wo er auch während des Ausbruchs von Corona bis 2021 blieb. „Es war schon seltsam, dass man damals in Kenia sicherer war als hier, da die Infektionszahlen dort niedriger waren“, erinnert er sich. In Kenia war er als Koordinator der GIZ für ein Gesamtbudget über 64 Millionen Euro verantwortlich.

Um in diesem Job Erfolg zu haben, gehört eine Portion Abenteuerlust ebenso dazu wie die Sympathie für andere Kulturen. Mathias Braun hat mit führenden Ministerien und in Timor-Leste und Togo sogar mit den Präsidenten des Landes zusammengearbeitet. Stressresistenz und die Fähigkeit, auch in Krisensituationen die Ruhe zu bewahren, sind außerdem wichtige Faktoren, um den Alltag zu meistern. In Togo, einem sehr deutschfreundlichen Land, wurde Mathias Braun in seinem eigenen Haus brutal überfallen. „Das war ein einschneidendes Erlebnis, das man erst verarbeiten muss“, erzählt er.

Nach seiner Rückkehr aus Kenia hat er sein Wissen in der Entwicklung von Standards für Beratungsdienste bei der GIZ weiter eingebracht. „Die Standards wurden von der Afrikanischen Union übernommen“, erklärt er. Die Afrikanische Union ist der Zusammenschluss aller 55 afrikanischen Staaten.

Mathias Braun ist nun wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt und startet im Juli in einen neuen Lebensabschnitt, den Ruhestand. Ob der so ruhig werden wird, das wird sich noch zeigen.

Seine Erfahrungen aus über 30 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit fallen positiv aus: „Will jemand etwas bewegen, dann ist dieser Job ein sinnvoller Weg“, ordnet er seine Berufsentscheidung ein.

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