Eine tolle Lebensleistung

1. Mai 2025

Eine tolle Lebensleistung

Karl Herrscher hat die Welt gesehen und Karriere gemacht

Ganz am Ende einer Stichstraße, dort wo nur noch Wald ist, lebt Karl Herrscher. Die Hausfassade ist mit Schindeln verkleidet, im Garten gibt es eine japanische Brücke. Seit 25 Jahren lebt er mit seiner Frau Maritta in Stödtlen, nur wenige Kilometer entfernt von Dinkelsbühl. „Die Schrankwand im Wohnzimmer haben wir bestimmt sieben Mal umgezogen“, sagt Karl Herrscher, der im Sommer 82 Jahre alt wird. Herrscher stammt aus Rothenburg. In der Unteren Schmiedgasse ist er aufgewachsen – und dann in die Welt hinausgegangen. Er gehört noch zu jener Generation „junger Wilder“, die sich mit Mut und Können die Freiheit genommen haben, eigene Wege zu gehen. „Heute wäre vieles davon nicht mehr möglich“, so Herrscher.

Er erinnert sich an seine Jugendjahre. Klaus Winkler, der in den USA lebt, und vor allem Fritz Staudacher, der in der Schweiz lebt und mit dem er stets Kontakt gehalten hat, gehörten zum Freundeskreis. „Unser Nachbar Metzger Wildermann hat mich mit seinem Auto, das noch Holztüren hatte, auf Überlandfahrten mitgenommen“, erinnert er sich.

Mit 14 Jahren hat Karl Herrscher eine Lehre zum Buchdrucker in der Druckerei Holstein begonnen. „Da hatte ich Glück, die Lehrstelle zu bekommen“, sagt er. Mit 19 Jahren zog er dann schon weiter in eine Druckerei nach Frankfurt. „Das hat damals dazu gehört“, erklärt Herrscher. Als junger „Ausgelernter“ hat man Erfahrungen in anderen Betrieben gesammelt.

Flucht vor dem Barras

Herrscher hatte aber noch einen anderen Grund: Die Bundeswehr wollte ihn einziehen und das galt es zu verhindern. Auch seinen interessanten Job in Frankfurt musste er deswegen wieder aufgeben und schulte beim Julius Beltz Verlag in Weinheim zum Offsetdrucker um. Wieder fand ihn die Bundeswehr. „Ich konnte nicht mehr in Deutschland bleiben“, so Herrscher. Also wechselte er zu einer Druckerei in die Schweiz. Seine Mutter erhielt mehrere Besuche von der Bundeswehr, die sich nach seinem Verbleib erkundigte, daher entschied er sich im Jahr 1965 ins Ausland zu gehen.

Er fand Jobangebote in Malaysia und Südafrika. „Ich entschied mich für Südafrika“, so Herrscher. Dafür musste er offiziell auswandern, was mehrmonatige Bürokratie bedeutete. Obwohl dadurch sein Job mittlerweile weg war, schulterte er seinen Seesack und machte sich auf eigenes Risiko auf die Reise. Etwa vier Wochen war er als einziger Passagier auf einem italienischen Frachter unterwegs, bis er in Kapstadt eintraf. Das hatte auch etwas Gutes, denn in dieser Zeit konnte er sein nicht so tolles Englisch aus der Volksschule aufpolieren.

„Bereits nach zwei Tagen hatte ich in Kapstadt eine Arbeitsstelle gefunden“, erzählt Herrscher. Er hat dort die Apartheid erlebt und auch die Probleme, die man bekommen konnte, wenn man zu Schwarzen zu freundlich war.

Mit Anfang 20 wollte Karl Herrscher mehr von Afrika entdecken und zog weiter nach Johannesburg in eine Druckerei mit modernsten deutschen Druckmaschinen. „In der Umkleide sah ich, dass die Kollegen Schulterhalfter mit Pistolen trugen“, sagt er. Die Kriminalität war in Johannesburg hoch und als Weißer konnte man abends nicht auf die Straße gehen. Also ging er nach Salisbury in Rhodesien (heute Simbabwe). Die Stellensuche lief problemlos und er arbeitete zuerst in der größten Druckerei des Landes und hatte danach bei „City Printers“, einer liberalen Firma mit jüdischem Inhaber, als Betriebsassistent seine erste Leitungsfunktion.

Langsam wurde es Zeit an die Rückreise nach Deutschland zu denken. Aber eher nicht auf dem direkten Weg. Von April bis September 1969 reiste Karl Herrscher mit zwei Freunden und im selbst ausgebauten VW durch Rhodesien, Mosambik, Malawi, Sambia, Tansania, Burundi, Ruanda, Uganda und Kenia. Er bestieg den Kilimandscharo bis zum obersten Zwischenlager. Der Bergtourismus war damals noch nicht kommerziell ausgebaut.

Studium statt Abenteuer

Von Afrika ging es mit einem Passagierschiff in der Bank-Klasse (der günstigsten Reisemöglichkeit für 26 Pfund) weiter nach Indien und von dort mit dem Auto durch Kaschmir. Mit Bussen und per Anhalter reiste Herrscher weiter durch Pakistan, Afghanistan, den Iran und die Türkei. In einem Cholerakamp traf er einen deutschen Entwicklungshelfer, der ihm die Mitreise im VW Bus mit Schlafplatz auf dem Gepäckträger anbot. Im Oktober 1969 kam er wieder in Rothenburg an.

Beruflich fand er schnell Anschluss als Offsetdrucker in Nürnberg. „In der Freizeit las ich stapelweise Cowboy-Romane“, sagt er schmunzelnd und fügt an: „Das konnte aber ja nicht alles sein.“

Die Bundeswehr war ihm auch schon wieder auf den Fersen und so entschloss er sich, an der Akademie für Wirtschaft und Technik Betriebswirtschaft zu studieren. In Niedersachsen war es möglich, ohne Abitur, aber mit Nachweis von Führungstätigkeit und mit einer Aufnahmeprüfung ein Vollzeitstudium zu absolvieren. „Am Anfang habe ich mich schwergetan, aber dann schnell auf- und die anderen teilweise überholt“, erinnert sich Karl Herrscher.

In der Bundesdruckerei in Berlin, eine obere Bundesbehörde, startete er nach dem Abschluss im Jahr 1973 als Nachwuchskraft im Personal- und Sozialwesen. Er war der einzige, der aus dem Druckgewerbe stammte und wurde wegen seiner Expertise schnell akzeptiert. „Nach kurzer Zeit war ich bei Tarifverhandlungen auf Arbeitgeberseite mit von der Partie“, so Herrscher.

Neue Herausforderungen

Parallel dazu erwarb er sich mit einem Studium an der Lessing-Hochschule in Berlin noch fundiertes Wissen in der Betriebspsychologie und hat später ein Fernstudium an der Akademie Bad Harzburg mit den Schwerpunkten Menschenführung und Betriebsorganisation aufgesattelt.

„In Berlin war mir der Arbeitsstil zu beamtenmäßig“, erklärt Karl Herrscher. Er wechselte als Referent für Arbeits- und Tarifrecht zum Verband der Druckindustrie Baden-Württemberg nach Stuttgart. Die Druckindustrie war gewerkschaftlich stark organisiert. „Da ist es damals heiß hergegangen“, erinnert er sich.

In den 70er- und 80er-Jahren war es bei entsprechender Qualifikation einfach, sich beruflich neu zu orientieren. „Ich wollte ja weiter kommen“, sagt Karl Herrscher. Mit jeder neuen Aufgabe stiegen die Anforderungen und die Unternehmen wurden immer größer. Als Leiter des Personal- und Sozialwesens sowie Ausbildungsleiter hat er für die Uhrenfabrik Senden mit etwa 1 500 Mitarbeitern gearbeitet. Die Rechtsabteilung war ihm dort unterstellt. Ebenfalls die Leitung des Personal- und Sozialwesens sowie Prokura hatte er bei der Firma Reisser in Böblingen. Das Sanitär- und Heizungsunternehmen mit 17 Niederlassungen und mehreren Tochtergesellschaften hatte Anfang der 80er-Jahre etwa 1 700 Mitarbeiter und 160 Azubis. „Wir haben unseren Nachwuchs selbst aufgebaut und alle haben stets ihre Prüfungen geschafft. Darauf war ich stolz“, stellt Karl Herrscher fest.

Über eine weitere Station bei Peguform, einem Hersteller von Kunststoffteilen für die Automotive, und seiner Zeit als selbstständiger Fachberater im betrieblichen Pensionsmanagement kam Karl Herrscher 1996 zu Grace Davison Europe/Grace Holding GmbH in Worms. Grace Holding gehört zu einem weltweit führenden amerikanischen Chemieunternehmen. Im Worms ist die europäische Zentrale. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005 war er als Personal Manager für Deutschland zuständig.

Karl Herrscher strahlt im Gespräch zwar sehr viel Ruhe aus, aber ein Ruhestand ohne die eine oder andere Herausforderung war wohl nichts für ihn. „Ich habe überlegt, was ich mache“, erzählt er. Er ist auf den Senior Experten Service (SES) in Bonn gestoßen. Die Stiftung der Deutschen Wirtschaft in Verbindung mit der Entwicklungshilfe vermittelt Führungskräfte zur Beratung ins Ausland.

Sechs Mal war Karl Herrscher für den SES im Einsatz. In Russland, im Ural und in Westsibirien, in China an der mongolischen Grenze sowie in Mazedonien und Bulgarien hat er sein Wissen in Managementtechniken und im Personalwesen weitergegeben.

Gesundheitliche Probleme machten ihm zu schaffen und er hielt nach einer neuen Aufgabe Ausschau. Von 2011 bis 2020 war er ehrenamtlicher Leiter des Weißen Rings für den Landkreis Ansbach und ab 2016 auch für die Stadt Ansbach. „Das hat mich schon immer interessiert“, sagt er.

Rund 40 Fälle pro Jahr, dazu gehören unter anderem Einbruch, sexueller Missbrauch oder Mord, hat der Weiße Ring in seiner aktiven Zeit unterstützt. Opfer oder Verwandte von Opfern wenden sich an den Weißen Ring, der auch finanzielle Unterstützung bietet.

Mittlerweile hat Karl Herrscher sein Ehrenamt abgegeben und lässt es ruhiger angehen. In den letzten 20 Jahren hat er seine Liebe zum Aquarellmalen entdeckt. Viele Rothenburg-Motive zieren die Wände in seinem Waldhaus, ebenso Akte, Landschaften, Stillleben oder Blumen. Vor gut zehn Jahren hatte er eine Ausstellung in der Bäckerei Striffler in Rothenburg. Seine Bilder waren aber auch in Ellwangen, Stödtlen, Leutershausen oder Wassertrüdingen zu sehen. Seine Staffelei steht zwar jederzeit bereit, aber aktuell ist Malpause. Alle Wände im Haus sind bestückt und „ich weiß nicht, wohin mit weiteren Bildern“, so Herrscher.

Auf die Frage, was er rückblickend als wegweisend in seinem Leben betrachtet, überlegt Karl Herrscher kurz und antwortet mit ruhigen Worten und in seiner zurückhaltenden Art: „Die Auslandserfahrungen haben mich geprägt. Ich sehe, wie gut es uns geht. Und mit den Führungspositionen konnte ich bestimmt einiges bewegen.“ am

Karl Herrscher in seinem Arbeitszimmer. Hinter ihm einige seiner selbst gemalten Bilder. Foto: am
Diesen schicken Jaguar fuhr Karl Herrscher im Jahr 1968 in Rhodesien. Als er Rhodesien verließ, wollte er ihn verkaufen und gab ihn zu einem Händler. Kurz darauf waren der Händler und der Jaguar weg. Foto: Privat
Karl Herrscher in jungen Jahren an der Stadtmauer im Rothenburger Burggarten. Foto: Privat

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