Botschafter des Menschseins Nov09


Botschafter des Menschseins

Maria und Peter Warkentin und ihr Russland-Deutsches Theater

Im Haus der Geschichte in Bonn war die Ausstellung „Heimat. Eine Suche“ zu sehen. Maria und Peter Warkentin waren mit Theaterstücken und einer Darstellung des Niederstettener Theaters vertreten. Foto: Privat

Im Haus der Geschichte in Bonn
war die Ausstellung „Heimat. Eine Suche“ zu sehen. Maria und Peter Warkentin waren mit Theaterstücken und einer Darstellung des Niederstettener Theaters vertreten. Foto: Privat

Theater ist ihr Leben. Maria und Peter Warkentin sind das Russland-Deutsche Theater in Niederstetten. Eine seltsam anmutende Formulierung, aber bewusst gewählt. Sie hätten wie viele ihrer Schauspielerkollegen die Bühne verlassen und ein bequemeres Leben haben können. Das kam für die beiden aber nie in Frage. Theaterblut und Menschenliebe fließen anscheinend paritätisch durch ihre Adern, denn auf den Brettern, die die Welt bedeuten, haben sie zuerst den Russen und danach den Deutschen das Menschsein erklärt.

Peter und Maria Warkentin sind beide in Sibirien aufgewachsen – in ihren deutschen Familien, in deutschen Dörfern. Zuhause wurde nur Deutsch gesprochen, wobei bei Maria der wolgadeutsche und bei Peter der plattdeutsche Dialekt der Mennoniten Tradition hatte.

Beide Ursprungsfamilien wanderten im 18. Jahrhundert nach Russland aus. Die deutschen Wurzeln wurden immer bewahrt. „Wir sind keine Russen, sondern Deutsche aus Russland“, macht Peter Warkentin klar. Mit Vorurteilen hatten sie zu kämpfen: In Russland waren sie die „Fritzen“, hier wurden sie als Russen angesehen. Nichts davon ist richtig.

„Bis wir nach Moskau gingen, sind wir im deutschen Milieu aufgewachsen“, erzählt Maria Warkentin. Sie war 18 Jahre alt, er war 17 Jahre, da trafen sie sich auf der Theaterhochschule Schtschepkin, die an das berühmte Moskauer Maly-Theater angeschlossen ist.

Deutsches Theater hatte in Russland eine lange Tradition, die aber mit dem Zweiten Weltkrieg endete. Mitte der 1970er-Jahre beschloss die Sowjetunion dann für Minderheiten wieder ein muttersprachliches Theater einzuführen. An der Moskauer Theaterhochschule Schtschepkin wurden zu diesem Zweck Schauspieler ausgebildet, die deutschstämmig waren und die deutsche Sprache beherrschten. „Wir haben eine tolle Ausbildung bekommen. Wir wurden von den Moskauer Koryphäen unterrichtet“, stellt Maria Warkentin fest. Und außerdem haben sich die beiden im dritten Semester ineinander „verguckt“ und wenig später geheiratet. 43 Jahre ist das nun her.

Ein Theater in Kasachstan

Wie es der Plan vorsah, zogen die fertig ausgebildeten Schauspieler im Jahr 1980 nach Temirtau, eine Stadt in Kasachstan, denn dort lebten viele Deutsche. Sie bekamen ein tolles Gebäude als Spielstätte und starteten einen kompletten Theaterbetrieb.

Etwa 50 Schauspieler und dazu Regisseure, Dramaturgen, Bühnenbildner, Schreiner und viele mehr arbeiteten am Theater. Insgesamt rund 120 Personen. „Wir haben mindestens vier neue Stücke pro Jahr gezeigt“, erinnert sich Peter Warkentin. Und zwar alle auf Deutsch. Konnte im Publikum jemand die Sprache nicht, standen Kopfhörer mit einer Simultanübersetzung zur Verfügung. Gespielt wurden u.a. „Emilia Galotti“ von Lessing, „Die Physiker“ von Dürrenmatt oder auch „Draußen vor der Türe“ von Borchert. „Das war auch politisch ein Treffer“, so Warkentin.

Zu der Zeit war der Afghanistankrieg in vollem Gange und auch im Theater gab es Rückkehrer. Der Parteifunktionär, der dem künstlerischen Rat angehörte, erkannte die Intention und wollte die Aufführung kippen. „Aber unser Regisseur, ein Jude aus Tallinn, hat es durchgeboxt“, so Warkentin. Dazu gab es Kindertheater und das Ensemble ist jedes Jahr auf Gastreisen zu deutschen Siedlungen unterwegs gewesen. „Das waren unsere erfolgreichsten Jahre“, erzählt Maria Warkentin. Beide wurde von Kasachstan mit der „Besten Rolle des Jahres ausgezeichnet“.

Maria und Peter Warkentin sind vielseitige Schauspieler: In Temirtau spielten sie in Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Türe“ den deutschen Kriegsheimkehrer Beckmann und die „Elbe“, die ihn vor dem Tod bewahrt. Foto: Privat

Maria und Peter Warkentin sind vielseitige Schauspieler: In Temirtau spielten sie in Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Türe“ den deutschen Kriegsheimkehrer Beckmann und die „Elbe“, die ihn vor dem Tod bewahrt. Foto: Privat

In Kasachstan vollzog sich dann ein politischer Wechsel und das Theater zog 1989 um in die Hauptstadt Almaty, damals Alma-Ata. Eigentlich sollte es dort weiter aufwärts gehen, aber das Gegenteil stellte sich ein. „Wir hatten kein eigenes Haus mehr für unser Theater und die Auswanderungswelle der Russlanddeutschen begann“, so Maria Warkentin.

Die ersten Schauspielerkollegen stellten Anträge und „wir haben jeden Monat eine Familie verabschiedet.“ Das Theater blutetet aus. „Wir sind als Letzte gegangen“, sagt Peter Warkentin. Am 19. Dezember 1994 stiegen sie mit ihren beiden Kindern und der Mutter von Maria in den Flieger nach Deutschland. Sie hatten vier Koffer und etwas Bargeld dabei.

Über Stationen in Stuttgart und Berlin sind sie 1995 nach Niederstetten gezogen. Sie hatten mit ihren Schauspielerkollegen aus Temirtau/Almaty vereinbart, dass sie wieder zusammenkommen, sollte jemand eine Möglichkeit für ein Theater gefunden haben.

Viktoria Gräfenstein und David Winkenstern hatten in Niederstetten Fuß gefasst. Der damalige Bürgermeister Kurt Finkenberger gab den Künstlern Übungsmöglichkeiten im Amtshaus Oberstetten, wo noch heute die Bühne des Theaters ist. Ebenfalls nach Niederstetten kamen Eduard Ziske, Lilia Henze und Alexander Klassen. Mit den Warkentins waren Mitte der 90er Jahre sieben Schauspieler in Hohenlohe und starteten dort das Russland-Deutsche Theater Niederstetten.

Unterwegs in ganz Deutschland

„Die Geschichte der Russlanddeutschen war am Anfang sehr gefragt“, erzählt Maria Warkentin. Sie haben mitgebrachte Bühnenstücke aufgeführt und neue inszeniert. Pro Jahr gab es 60 bis 70 Aufführungen, rund zehn davon in Niederstetten. Die Warkentins sind mit dem Russland-Deutschen Theater in ganz Deutschland unterwegs gewesen. „Wir haben gespielt, wo eine Nachfrage war“, so ihr Credo.

Zum Lebensunterhalt hat es aber nie gereicht. Die professionellen Schauspieler mussten und müssen noch immer in anderen Berufen ihr Brot verdienen. „Aber niemand von uns war je auf dem Sozialamt“, sagt Peter Warkentin mit Nachdruck. Er arbeitete in Deutschland anfangs als Maler und ist nun in der Jugendarbeit beschäftigt. Maria ging putzen.

Um das Jahr 2000 löste sich die siebenköpfige Truppe in Niederstetten auf. „Die anderen waren teils zehn Jahre jünger als wir und machten Umschulungen“, so die Warkentins. Aus der Ursprungsgruppe ist niemand mehr am Theater tätig. „Wir sind die einzigen, die im Beruf geblieben sind“, sagt Warkentin mit berechtigtem Stolz.

Zum 20-jährigen Jubiläum des Russland-Deutschen Theaters, vor acht Jahren, haben sie recherchiert: Schon damals sind sie in 165 Orten aufgetreten. Mit ihren Bühnenstücken präsentieren sie einerseits Autoren, die in Deutschland nicht bekannt sind, und betreiben andererseits Aufklärung. Ihre Themen drehen sich über Historie und Leben der Russlanddeutschen. Sie haben im Stück „Landsleute“ im wolgadeutschen Dialekt gespielt, mit „Mix Markt“ ironisch auf sich selbst geblickt oder in „Die Kist von der Wolga“ ein literarisches Schauspiel über das Leben der Wolgadeutschen inszeniert. Sie erhielten 2016 den Russlanddeutschen Kulturpreis und 2020 den Gottlob-Haag-Ehrenring.

Maria Warkentin, die ebenso wie ihr Mann zusätzlich Projekte an Schulen betreut und Regie an Amateurbühnen führt, ist regelmäßig in Solostücken zu sehen. Im Lutherjahr war sie erfolgreich als Katharina von Bora auf der Bühne. Ihr aktuelles Stück „Rut (die Freundin der Lieblichen)“ greift die Themen Fremdsein und Ausgrenzung auf (zu sehen am 19. November und 3. Dezember, um 19.30 Uhr, im Amtshaus Oberstetten, Karten: info@rdtheater.de).

Die Warkentins sind hier angekommen. „Wir haben hier ein gutes Pflaster gefunden“, so Peter Warkentin. Ihr Sohn Edwin war Mitarbeiter im Deutschen Bundestag und ist nun Referent im Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold. Tochter Charlotte hat Theaterwissenschaften studiert. Für die beiden selbst gilt: „Theater ist unsere Berufung“. Das wollen sie machen, solange sie können. am