Weg zum Kulturerbe Mai01


Weg zum Kulturerbe

Das jährlich stattfindende Festspiel „Der Meistertrunk“ ist immaterielles Kulturerbe: Ein Rückblick in 5 Akten

1. Akt: Belegte Geschichte und eine Legende.
Wir schreiben das Jahr 1631. Der Dreißigjährige Krieg wütet und Rothenburg ist in der Zwickmühle: Einerseits muss die Stadt loyal zu ihrem Reichsoberhaupt, dem katholischen Kaiser Ferdinand II. stehen, andererseits ist Rothenburg seit 1544 evanglisch und hätte auch nichts gegen eine Befreiung durch den „Schwedenkönig“.
Im Oktober 1631 steht dann General Johann T’Serclaes von Tilly mit seinem kaiserlichen Heer vor den Toren der Stadt. Der Rat der Stadt und die Bürger wollen sich aber nicht ergeben. Sie kämpfen für ihren Glauben.
Historische Aufzeichnungen berichten davon, dass der Rat und der Bürgermeister eingesperrt wurden. Die Stadt war den Plünderungen der kaiserlichen Truppen ausgesetzt. Eigentlich das „Todesurteil“ für Rothenburg. Dass es anders kam, sieht man an der Gegenwart. Aber warum es anders kam, ist nicht exakt überliefert. Hier ist Raum für eine Legende. Superintendet Georg Zierlein (1592–1661) sprach in seiner Dankpredigt im Jahr 1651 von einer „Barmherzigkeit Gottes“. In späteren Chroniken werden andere Erklärungen gesucht.
Wilhelm von Winterbach (1772–
1856) berichtet, dass die Ratsherrn den Generälen in dem damals üblichen Kaiserpokal einen Willkommenstrunk angeboten haben. Der soll sie milde gestimmt haben und sie seien bereit gewesen, die Stadt zu verschonen, wenn jemand den Krug in einem Zug leeren konnte.
Georg Heinrich Schaffert (1739–
1794) schreibt, dass ein General vermeintlich vergifteten Wein in den Pokal füllte und die Stadt ­verschonen wollte, wenn einer den Krug austrinken konnte. Die Überlieferungen bleiben vage. Was im Oktober 1631 wirklich geschehen ist, darüber ruht das Schweigen der Jahrhunderte.

Porträt des Glasermeisters Adam Hörber.

Porträt des Glasermeisters Adam Hörber.

2. Akt: Die zündende Idee des Glasermeisters Adam Hörber.
Der Dreißigjährige Krieg ist längst Geschichte, Rothenburg hat 1803 seine Reichsfreiheit verloren, gehört nun zu Bayern und ist in einem Dornröschenschlaf versunken. Kurzum, hier ist nichts mehr los. Selbst das Kichweihschießen mit dem Bürgermilitär am Kirchweihmontag kommt 1868 zum Erliegen. Die Rothenburger überlegen daher, wie sie ihre Stadt wieder attraktiver machen können. Bereits 1870 kommt die Idee eines Festzuges auf. Das sind aber nur vage Vorstellungen, bis sich der Glasermeister Adam Hörber (1827–1905) einbringt.
Der Handwerker, der auf seinen Wanderjahren durch die großen deutschen Städte zog, soll ein kunstaffiner Mann gewesen sein. „Lieber hungerte er, als dass er sich ein schönes Theaterstück entgehen ließ“, schreibt Martha Faber in der Biografie über ihren Großvater. 30 Jahre gehörte Hörber zum Magistrat der Stadt, 22 Jahre vertritt er Rothenburg im mittelfränkischen Landtag. Ein integrer Mann, der eines Tages beschließt, Rothenburg ein Theaterstück auf den Leib zu schreiben.
Am 3. November 1879 trägt Adam Hörber im „Hirschen“ vor einer hundertköpfigen Versammlung erstmals seine Idee zum Bühnenstück über die Errettung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg vor. Ein Komitee zur Organisation der Veranstaltung wird gegründet, und knapp ein Jahr später, am 28. September 1880, liest Hörber seinen Entwurf zum Historischen Festspiel „Der Meistertrunk“ öffentlich vor.
Die Zuhörer sind begeistert, 6500 Goldmark werden mit Spenden zusammengetragen, ein Münchner Kunstmaler macht die Entwürfe für die Kostüme, 80 Uniformen werden gefertigt, Waffen und Rüs­tungen kommen von der Sammlung des Münchner Magis­traten und der Kaisersaal im Rathaus muss eigens für das Projekt eingerichtet werden.
Der Coburger Hofschauspieler Pabcke ist der Regisseur, und am Pfingstmonatg 1881 gibt es die erste Aufführung. „Extrazüge“ sollen Gäste aus ganz Deutschland gebracht haben. Ein riesen Erfolg. Zwei Wochen später, am 19. Juni 1881, gibt es ausnahmsweise eine Wiederholung.

3. Akt: 134 Jahre „Meistertrunk“ heißt auch Durchhalten.
Eine gute Idee ist das eine, sie 134 Jahre zu hegen und pflegen das andere. Rund um die alljährliche Aufführung des Bühnenstückes gibt es von Beginn an den Festzug und das Feldlager vor den Toren der Stadt. Ein tiefer Einschnitt geschieht 1922, als beim Brand des „Ochsenbaus“ der Kostümfundus des Festzuges und alle Ausstattungsgegenstände verbrennen. Die Bürger sind jedoch so engagiert, dass 1923 der Festzug, wenn auch im kleineren Umfang, trotzdem stattfand. Das 50-jährige Jubiläum des Festspiels im Jahr 1931 muss wegen der Wirtschaftskrise im bescheidenen Rahmen gefeiert werden. Aber schon 1934 werden wegen des großen Interesses acht zusätzliche Aufführungen gespielt, und 1935 besucht Ministerpräsident Ludwig Siebert das Festspiel. Trotz des Krieges finden 1941 zwei Aufführungen statt, die Kostüme werden zum Schutz vor Fliegerangriffen 1942 ausgelagert, und am 21. Mai 1945 findet die erste Festspielaufführung nach dem Krieg statt. Das Feldlager gibt es ab 1949 wieder, den Festzug ab1951.
Rothenburg ohne „Meistertrunk“ ist nicht mehr denkbar. Große ­Politiker, unter anderem der US-Hochkommisar John Mc Cloy, ­haben teilgenommen, und das Pfingstfest in Rothenburg wird über die Jahre weltbekannt.

Im Kaisersaal wird alljährlich „Der Meistertrunk“ aufgeführt.   Foto: Forberg

Im Kaisersaal wird alljährlich „Der Meistertrunk“ aufgeführt. Foto: Forberg


4. Akt: Ein Verein von und für die Menschen.
Ein echter Rothenburger ist irgendwann mal in seinem Leben oder besser noch das ganze Leben lang „beim Festspiel“. Das gehört einfach dazu. Die klassische Karriere startet man als „Magdalena-Kind“, dann geht es in eine der 27 historischen Gruppen. Beutelschneider, Marketenderinnen, Schanzbauern, Tilly-Wache, Kroaten zu Pferd, die Junge Schar, die Landsknechte und viele mehr vervollkommnen die Darstellung des Lebens um das Jahr 1631. Wer eine Neigung zur Bühne hat, kann für eine der 35 Rollen des Bühnenstückes von Adam Hörber vorsprechen. Zwei komplette Besetzungen gibt es, die an den Pfingstfeiertagen im Wechsel im Kaisersaal das historische Theaterstück aufführen. Auch hier geht so mancher Laiendarsteller mit seiner Rolle „in Rente“.
Rund 1000 aktive Vereinsmitglieder hat „Das Historische Festspiel, Der Meistertrunk“. Es geht dabei bei Weitem nicht nur um die Strahlkraft der Veranstaltung über die Stadtgrenzen hinaus. Mag das „Festspiel“ auch noch so populär sein, zusammengehalten wird es von den Menschen, die sich aus Leidenschaft dafür engagieren.
Seit 1966 betreibt der Verein auch das Historiengewölbe mit Staatsverlies unter dem Rathaus. In den acht Gewölben werden besondere Geschehnisse des 16. und 17. Jahrhunderts anschaulich dargestellt und runden den kulturellen Auftrag des Vereins ab.

5. Akt: Der „Meistertrunk“ wird immaterielles Kulturerbe.
Als deutlich wird, dass Deutschland dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes beitreten wird, liegt eine Bewerbung des Rothenburger Vereins auf der Hand. 13 Bräuche werden im Dezember 2014 in das bayerischen Landesverzeichnis aufgenommen, darunter das Historische Festspiel „Der Meistertrunk“. „Darauf sind wir stolz“, stellt Harald Krasser fest, der seit 47 Jahren beim Festpiel engagiert und seit 24 Jahren Vorsitzender des Vereins ist.
Geld oder Fördermittel gibt es durch die Auszeichnung im Moment zwar noch keine, aber das kann auch noch kommen. Der nächste Schritt wäre die Bewerbung auf Bundesebene und dann bei der UNESCO direkt. Eine offizielle Feier, vielleicht mit Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle, steht noch aus.
Derweilen sind die Mitglieder begeistert und motiviert. Das „Festspiel“ hat in Rothenburg geschafft, was andere Vereine verzweifelt versuchen: Der Spagat zwischen authentischer Historie und zeitgemäßer Unterhaltung ist hier gelungen. Das Theaterstück, das Adam Hörber 1880 geschrieben hat, wird vom langjährigen Regisseur Rejyk Bergemann mit feinem Gespür lebendig inszeniert. „Wir haben auch keine Nachwuchsprobleme“, so Krasser. Schon die Jüngsten wollen zu den „Bürgerkindern“ oder zur „Jungen Schar“. Eine lebendige, gepflegte Tradition und eine stete ­Erneuerung gehen hier Hand in Hand. am