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Krisenmanager

Oberbürgermeister Dr. Markus Naser im Interview

Alles sieht aus wie früher. Dr. Markus Naser ist seit 1. Mai der neue Oberbürgermeister von Rothenburg. Das Büro seines Amtsvorgängers im Rathaus hat er unverändert übernommen. Gestartet ist er allerdings unter ganz anderen Bedingungen.

Zur Person

Dr. Markus Naser ist 2020 für die Freie Rothenburger Vereinigung (FRV) bei der Oberbürgermeisterwahl angetreten. Nach der Wahl am 15. März war klar, es wird eine Stichwahl geben. Am 29. März hat er dann mit einem Ergebnis von 60,71 Prozent überzeugt. Naser ist promovierter Historiker und war Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Fränkische Landesgeschichte in Würzburg. 2016 und 2019 war er jeweils für ein Semester Gastprofessor an einer Universität in Sankt Augustine in Florida. Bis zu seinem Amtsantritt als Oberbürgermeister am 1. Mai war er fünf Jahre lang Vorsitzender des Vereins Alt-Rothenburg, der sich der Bewahrung der historischen Substanz Rothenburgs verschrieben hat. Dr. Markus Naser lebt in Wolfsau, nur wenige Kilometer von Rothenburg entfernt gelegen. Er ist verheiratet und hat eine eineinhalbjährige Tochter. Er ist Mitglied im Fußballverein FC Bayern-München.

Dr. Markus Naser hat als neuer Oberbürgermeister in Coronazeiten keinen leichten Job angetreten. Foto: am

Dr. Markus Naser hat als neuer Oberbürgermeister in Coronazeiten keinen leichten Job angetreten. Foto: am

Kontaktbeschränkungen, keine großen Veranstaltungen, kaum Abendtermine und die Welt ist im Home-Office. Wie fühlt man sich so als Oberbürgermeister in Coronazeiten?
Mir fehlt ja etwas das Wissen, wie es sich ohne Corona anfühlt. Aber alle schönen Termine sind ausgefallen.

Was bedauern Sie am meisten?
Meine Lieblingsveranstaltung ist das Weindorf. Das ist ein Traum. Da freut man sich darauf, das in neuer Funktion zu eröffnen. Und dann fällt es aus wie viele andere Feste, z.B. Pfingsten und die Reichsstadttage. Da kommt man sich vor wie derjenige, der alles absagen muss. Ich würde lieber gute Nachrichten überbringen.

Erinnern Sie sich noch an den Wahlabend des 29. März?
Bis Ende Februar habe ich nicht geglaubt, dass ich eine Chance habe. Erst bei der Veranstaltung in der Mehrzweckhalle kam mir in den Sinn, das könnte doch gut ausgehen. Normalerweise trinke ich in der Fastenzeit keinen Alkohol. Aber am Wahlabend haben wir dann eine Flasche Wein aufgemacht.

Und ein bisschen gefeiert?
Es war unglaublich merkwürdig, denn alle, mit denen wir den Wahlkampf bestritten haben, konnten wir damals nicht treffen (Anm.: bis 6. Mai war Lockdown). Ich habe bis jetzt den Wahlsieg nicht groß gefeiert. Nur im Familienkreis mit meiner Frau, meiner Tochter und meinen Eltern, die im selben Haus wohnen.

Haben Sie die Kandidatur nach dem Aufkommen von Corona bereut?
Nein, ganz sicher nicht. Bewirbt man sich für so ein Amt, dann will man etwas bewegen und verändern. Da ist Corona zwar nicht förderlich und macht es schwieriger, aber das ändert ja nichts an der Motivation.

Hatten Sie eigentlich schon Erfahrung in der Kommunalpolitik?
Eigentlich nicht. Über den Vorsitz im Verein Alt Rothenburg war ich am Rande ein Teil der Stadtgesellschaft, aber nicht Teil der Lokalpolitik.

Der 1. Mai war ihr offizieller Start, noch während des Lockdowns. Was war Ihre erste Amtshandlung?
Das weiß ich noch sehr gut. Das war ein langes Wochenende und alle gingen davon aus, dass ich am Montag, 4. Mai, meinen Dienst antrete. Ich habe mir dann aber erbeten, dass man meinen Schreibtisch mit Unterlagen füllt, z.B. zum Thema Jugendherberge oder Brauhaus. Am 1., 2. und 3. Mai war ich hier und habe die Akten studiert. Ich wusste bis dahin ja nicht, was in den nicht öffentlichen Sitzungen zu den Themen besprochen wurde. Ich war einfach so interessiert.

Statt einer Einarbeitungszeit hat Sie sofort Krisenmanagement erwartet. Wie sind Ihnen die ersten Wochen in Erinnerung geblieben?
Als sehr arbeitsreiche Zeit. Aber gleichzeitig auch als Zeit, in der ich unglaublich viel gelernt habe.

Sie mussten als Neuling sofort kommunalpolitisch außergewöhnliche Entscheidungen fällen. Hatten Sie da schlaflose Nächte?
Ich bewundere all diejenigen, die an der Ausgangstüre vom Rathaus loslassen können. Ich kann das nicht und nehme die Sorgen mit nach Hause. Ich weiß, das ist nicht gesund. Aber wir haben aktuell eine Zeit, wo viele Menschen in der Stadt große Nöte haben. Das kann ich daheim nicht einfach ausblenden. Ich denke aber, das geht den meisten Bürgermeistern so.

Was sind Ihre Prioritäten in dieser Ausnahmesituation?
Priorität hat, das Überleben unserer Unternehmen, Gewerbebetriebe und Selbstständigen zu sichern. Also Liquidität erhalten. Wir haben alles genutzt, was wir als Stadt an Instrumentarien zur Verfügung hatten.

Wie viel zukünftige Unterstützung, z.B. Stundung von Steuervorauszahlungen oder auch fehlende Einnahmen vom Rathausturm oder von ausgefallenen Veranstaltungen kann sich die Stadt noch leisten?
Das Geld vom Rathausturm, über 100 000 Euro im Jahr, fehlt uns schmerzlich. Das ist weg. Die ausgefallenen Veranstaltungen – jetzt wird es traurig – sind eine Entlastung für die Stadtkasse, denn Veranstaltungen kosten Geld z.B. für Werbung oder Durchführung. Kulturell ist das ein katastrophaler Verlust. Wir hätten das Geld lieber ausgegeben. Ich denke aber, wir haben in den letzten Monaten gezeigt, dass wir bereit sind als Stadt an die Grenze zu gehen. Wir haben deutliche Impulse gegeben, auch beim Verzicht auf den Fremdenverkehrsbeitrag, der erst im nächsten Jahr abgerechnet wird.

Die Coronakrise ist auch eine finanzielle Krise. Ein Nachtragshaushalt mit 3,3 Millionen neuen Schulden wurde Ende September beschlossen. Was bedeutet das für Rothenburg?
Wir waren in der Vergangenheit finanziell schon nicht gut aufgestellt. Der letzte Haushalt war nur genehmigungsfähig, da wir große Beträge aus Grundstücksveräußerungen übernommen haben. Aber Grundstücke kann ich nicht beliebig oft verkaufen. Durch die Entwicklung der Coronapandemie wird sich unsere Schuldenbelastung noch deutlich erhöhen. Wir sind jetzt schon eine der am höchsten verschuldeten großen Kreisstädte in Bayern. Wir müssen also wirklich darauf aufpassen, Haushaltsdisziplin zu wahren.

Sie sind mit dem Wahlversprechen angetreten, das Krankenhaus zu erhalten, bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen und Kiga- und Krippenplätzen zu schaffen. Sind Investitionen in Zeiten von Corona noch möglich?
Eigentlich hatte ich 13 Punkte, die mir wichtig waren. Die stehen in meinem Wahlflyer. Und den habe ich immer unter meinem Computermonitor liegen. Man muss sich im Tagesgeschäft immer wieder vergegenwärtigen, was ist eigentlich meine Agenda. Das sind die Punkte, die ich nicht vergessen darf.

Wie sieht es dann mit den Kindergärten und Krippen aus?
Die Investitionsbereitschaft der Stadt ist da. Aber das reicht nicht. Wir brauchen erst einmal einen Platz und das Personal. Es ist nicht allein damit getan, dass wir uns hinstellen und sagen, wir haben das Geld. Es scheitert momentan daran, dass wir kein Gebäude haben. Da müssen wir ein neues planen und das machen wir auch schon.

Und wie sieht es mit bezahlbarem Wohnraum aus?
Da sind wir auch ein Stück weiter. Wir haben einige Projekte, unabhängig vom Himmelweiher, die im Planungsstadium sind. Mehr kann ich dazu aber noch nicht sagen.

Wie haben Sie privat die vergangenen Monate seit Ihrer Wahl erlebt?
Ich gebe mir Mühe mein Töchterchen zweimal am Tag zu sehen. Auch wenn ich abends lange arbeite, sehe ich sie noch, denn sie hat die innere Uhr von mir und geht spät ins Bett. Morgens sitze ich daheim am Schreibtisch und gönne mir noch eine Viertelstunde mit ihr, bevor ich ins Rathaus fahre. An den Wochenenden arbeite ich von zu Hause. Tatsächlich war ich mit meiner Familie im Sommer eine Woche auf der Insel Kos. Das Privatleben fällt also nicht ganz weg.

Sie sind ein großer Fußballfan?
Ja. Seit fast 20 Jahren bin ich Mitglied beim FC Bayern München. Und auch meine Tochter ist seit ihrer Geburt Mitglied. Die Bayern waren so freundlich und haben das Eintrittsdatum auf ihr Geburtsdatum zurückdatiert.

Wie kann man als überzeugter Franke, der sie sind, Bayern-Fan sein?
Ich habe da zwei Antworten: Ich war schon Bayern-Fan, also in der Grundschulzeit, da wusste ich noch gar nicht, dass es Franken gibt. Und die Zweite ist, dass der FC Bayern ja der Verein der Ausländer war. Der Stadtverein der echten Münchner war der TSV 1860.

Was halten Sie von den Geisterspielen?
Das ist schon eine merkwürdige Atmosphäre. Trotzdem ist es mir lieber, die spielen vor leeren Rängen als gar nicht. Es ist nicht das Gelbe vom Ei, aber solange die Bayern gewinnen, ist es mir egal. Vielleicht sind wir mal die einzigen Champions League-Sieger unter Coronabedingungen.

Wie kann es Ihrer Meinung nach weitergehen mit Großveranstaltungen, auch im kulturellen Bereich?
Eine sehr schwierige Frage. Ich befürchte, eine Normalisierung wird es erst mit einem wirksamen Medikament oder einem Impfstoff geben. Wenn ich an das Taubertal-Festival denke, eine großartige Veranstaltung, so etwas ist unter Coronabedingungen nicht denkbar. Wir haben hier aber Zeichen gesetzt z.B. mit dem Toppler Theater oder auch mit dem Konzert des Stadt- und Jugendblasorchesters auf der Stöberleinsbühne, die vor verkleinertem Publikum gespielt haben. Ich finde es wichtig, auch aus einem gewissen Trotz heraus zu zeigen, wir sind noch da und Kultur gibt es weiterhin. Großveranstaltungen gehen aber erst wieder, wenn es ansatzweise eine Normalisierung gibt.

In diesem Sinne musste auch der Reiterlesmarkt, der schon am 20. November beginnen sollte, abgesagt werden. Das war bestimmt keine leichte Entscheidung?
Die Absage war eine Entscheidung, die wir gar nicht getroffen haben. Durch den „Lockdown light“ Anfang November wurden alle Veranstaltungen bis zum 1. Dezember verboten. Dadurch war die Eröffnung gar nicht möglich. Wir hatten uns aber mit dem Konzept Rothenburg als Weihnachtsstadt schon eine Alternative überlegt.

Was genau ist geplant?
Wir erlauben der Gastronomie in diesem Jahr die Außenbewirtung, da es den Reiterlesmarkt nicht geben kann. Unsere lokalen Gastronomen praktizieren seit Monaten erfolgreich die Hygienemaßnahmen. Die können das und bekommen das bestens hin. Zusätzlich sind die Häuser und Läden geschmückt. Die ganze Stadt bekommt weihnachtliches Flair. Sofern es möglich ist, stellen wir einige, reine Verkaufsbuden auf, abhängig von den politischen Vorgaben.

Sie wollen also doch noch etwas Stimmung herbeizaubern. Wird Ihnen das gelingen bei steigenden Coronazahlen?
Das wird uns nur gelingen, wenn auch Gäste da sind. Und das hängt davon ab, ob touristische Reisen wieder möglich sein werden. Wenn die Gastronomie über den 1. Dezember hinaus geschlossen bleiben muss und Reisen verboten bleiben, dann werden wir zwar eine schöne Weihnachtsstadt haben, aber nur wenig Gäste. Auch die Einheimischen wollen natürlich das gastronomische Angebot nutzen. Wenn es das nicht gibt, kommen nur sehr wenige in die Altstadt. Ohne Glühwein, Bratwurst und auswärtige Gäste werden wir zwar ein schön geschmücktes Rothenburg erleben, aber für die Stimmung brauche ich Menschen.

Aber Sie hoffen noch auf eine Durchführung der Weihnachtsstadt (Anm.: Wir haben das Interview am 16. November geführt)?
Wir haben einen Nimbus als Weihnachtsstadt und Gäste, die zu uns kommen, verhalten sich verantwortungsbewusst. Wir waren nie ein Party-Touristenort wie z.B. Ischgl. Außerdem haben wir den ganzen Sommer über gezeigt, dass wir mit großem Gästeaufkommen unter Coronabedingungen umgehen können. Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel können verantwortungsvoll mit dieser Situation umgehen.

Welche Projekte stehen für 2021 auf Ihrer Agenda?
Alle aktuellen Projekte laufen weiter: Einen Klimabeirat einrichten, das Großprojekt Himmelweiher umsetzen und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Die UNESCO-Bewerbung Rothenburgs als Weltkulturerbe haben wir 2020 angestoßen und die wird 2021 virulent.

Zum Schluss noch die Gretchenfrage: Sie hätten auch die universitäre Laufbahn weiter einschlagen können. Wäre vielleicht entspannter gewesen. Was hat Sie bewogen, in die Politik zu gehen?
Nach einem halben Jahr Erfahrung kann ich behaupten, das Leben an der Uni war definitiv entspannter. Aber trotzdem war es die richtige Entscheidung in die Politik zu gehen. Weil man in so einer Rolle etwas bewegen kann. Ich bin von Haus aus Historiker und habe mich mit Geschichte beschäftigt und was Menschen darin gemacht haben. Jetzt habe ich die Möglichkeit, einen kleinen, einen winzig kleinen Teil Geschichte mitzuschreiben. am