„Ich habe ein afrikanisches Herz“ Aug01


„Ich habe ein afrikanisches Herz“

Dr. Bernhard Gessert ist mit Leib und Seele Arzt

 

Südafrika, 3. Dezember 1967. Der 15-jährige Bernhard Gessert sitzt im Wohnzimmer der elterlichen Farm und presst sein Ohr an ein rauschendes Transistorradio. Atemlos lauscht er der Nachricht, dass der Arzt Christiaan Barnard in Kapstadt die erste Herztransplantation der Welt durchgeführt hat. Sein Herz schlägt schneller bei dieser Meldung und er fasst den Entschluss: „Ich werde Herzchirurg!“
Nicht ganz 50 Jahre später führt Bernhard Gessert eine allgemeinmedizinische Praxis im Rothenburger Zentro. Sein Bezug zu
Afrika ist dort deutlich zu erkennen. Überall afrikanische Schnitzereien und Masken sowie jede Menge Fotos von Buschmännern, Frauen und Kindern, wilden Tieren und immer wieder mit Bernhard Gessert selbst, umringt von Kindern, inmitten von Menschen.

Schon seit seiner Kindheit und Jugend verbindet Bernhard Gessert eine besondere Nähe mit den Schwarzen.

Schon seit seiner Kindheit und Jugend verbindet Bernhard Gessert eine besondere Nähe mit den Schwarzen.

Herzchirurg ist er nicht geworden. Dafür hat er sich in vielen medizinischen Bereichen aus- und weitergebildet. Als Notarzt war er während der letzten 24 Jahre bereits 4000 Mal im Einsatz, außerdem hat er eine spezielle Ausbildung als Kindernotarzt. Er ist Reisemediziner und hat viele Kinder als Patienten, die ihm, wie er sagt, besonders am Herzen lägen.
Eine Herzensangelegenheit für ihn ist auch die Palliativmedizin, und so betreut und versorgt er unheilbar chronisch kranke Menschen. Daneben war er viele Jahre auch bei Notfällen im Ausland im Einsatz und begleitete erkrankte oder verunfallte Reisende bei Rücktransporten in ihre Heimat. Ein umtriebiger Arzt, mit vielen Interessen und Leidenschaften.
Von Afrika nach Franken
Einfach war der Start als niedergelassener Arzt in Rothenburg nicht, damals vor gut 25 Jahren. Die Praxis – zu der Zeit noch in der Galgengasse – hatte er von einem alteingesessenen Arzt übernommen, und die Patienten waren erst mal skeptisch: „,Der kommt aus Afrika, wie kann der uns denn verstehen‘, so haben die Leute geredet“, erinnert sich Bernhard Gessert. Doch mit seiner zupackenden und direkten Art, seinem Interesse an den Menschen und ihren Lebensumständen erarbeitete er sich den Respekt und die Achtung seiner neuen Patienten.
Doch wie kommt ein Südafrikaner dazu, in Rothenburg zu leben und zu arbeiten? Geboren wurde Bernhard Gessert als drittes von fünf Kindern auf Shark Island, einer kleinen Insel vor der Westküste Südafrikas. Er wuchs auf einer Rinder- und Schaffarm auf, als Sohn eines Buren und einer aus Stettin eingewanderten Deutschen. „Unsere Farm war im Zweiten Weltkrieg von den Engländern zerstört worden, und ich bin in Kriegsruinen aufgewachsen“, erzählt Bernhard Gessert.
Nicht ohne Stolz betont er, dass seine europäischen Vorfahren nicht als Eroberer nach Südafrika gekommen waren, sondern als Wissenschaftler: „Mein Opa wollte die Wüste urbanisieren und träumte von fruchtbaren Weizenfeldern“, berichtet er mit einem Schmunzeln.

Mit der Medizin in Berührung kam Bernhard Gessert als Zwölfjähriger in einem kleinen Missionskrankenhaus. Bewundernd beobachtete er den „flying doctor“, der mit dem Flieger Verletzte und Kranke herbrachte. Besonders beeindruckt war er aber vom OP-Besteck. „Die Melodie und Musik der klappernden, silbernen Geräte haben mich fasziniert“, sagt er, „und das bis heute. Je filigraner die Instrumente und je komplizierter und kleinteiliger die Operation, desto lieber habe ich das.“
Die Faszination für Operationen und die Nachricht von der ersten Herztransplantation formten also seinen Berufswunsch. Doch seine Persönlichkeit wurde durch etwas anderes nachhaltig geprägt: die Apartheid in Südafrika, die brutale Trennung von Schwarzen und Weißen. „Ich bin zwar außen weiß, habe aber ein afrikanisches Herz“, sagt Bernhard Gessert über sich selbst und erzählt, wie er seine freie Zeit am liebsten am Lagerfeuer mit den schwarzen Arbeitern der elterlichen Farm verbracht hat. Durch diese innere Nähe war ihm jede Ungerechtigkeit gegenüber Schwarzen zuwider.

Komplizierte und kleinteilige Operationen faszinieren ihn.      Foto: privat

Komplizierte und kleinteilige Operationen faszinieren ihn. Foto: privat

Noch heute hört man seiner Stimme die Erschütterung an, wenn er davon berichtet, wie er Gewalt tatsächlich selbst erlebt hat: „Jeden Morgen kam ich auf dem Weg zur Schule an einem Gefängnis vorbei, in dem Schwarze inhaftiert waren. Ich hörte die Schreie der Gefangenen und die Schläge.“ Solche Erfahrungen – besonders auch während seines Militärdienstes – machten ihn wütend. Offen ergriff er Partei für die Belange der schwarzen Bevölkerung. Das brachte ihm nicht nur Konflikte mit seinen Eltern ein, in der Schule und später beim Militär wurde er für seine Position angefeindet und beschimpft.
Doch das änderte nichts an seiner Einstellung. „Ein Gessert kommt nie durch den Dienstboteneingang“, sagt er. „Das hat schon meine Mutter gesagt. Wir halten mit unserer Meinung nicht hinterm Berg.“ Und noch heute kämpfe er gegen jede Art von Apartheid und Ungerechtigkeit.
Nach dem Abitur, mit 18 Jahren, kam Bernhard Gessert zum ersten Mal nach Europa und war dort zehn Monate als Austauschschüler unterwegs. Anschließend hatte er seinen zweijährigen Militärdienst zu absolvieren. Und danach sollte es endlich mit dem Medizinstudium losgehen. Doch noch vor der ersten Vorlesung, bekam er die Einberufung zum Kriegsdienst nach Angola.
Das Ziel im Blick
Als er mitbekam, dass privilegierte Buren diesen Einberufungsbefehl nicht erhielten, reichte es ihm: Er packte seine Sachen und verließ Südafrika – wie viele seiner Altersgenossen damals. Über die Niederlande kam er Anfang der 70er Jahre nach Deutschland.
„Ich sprach ja Deutsch und dort gab es keine Studiengebühren“, erzählt Gessert, die einzige Möglichkeit für den mittellosen jungen Mann, seinen Traum vom Medizinstudium doch noch zu erfüllen. Über den Umweg eines Maschinenbaustudiums – sein Abitur wurde in Deutschland für das Numerus Clausus-Fach Medizin nicht anerkannt – begann er 1979 endlich sein Medizinstudium in Würzburg, das er einige Jahre später erfolgreich beendete.
Aber Herzchirurg konnte er immer noch nicht werden: „Dafür gab es zu der Zeit zu wenig Stellen. Überhaupt gab es – man kann es sich heutzutage kaum vorstellen – eine Ärzteschwemme.“ So arbeitete er als Assistenzarzt, doch im Hinterkopf spielte immer noch leise die Melodie vom klappernden OP-Besteck.
Anfang der 80er Jahre – Bernhard Gessert war mittlerweile verheiratet und hatte zwei kleine Töchter – zog es ihn noch einmal nach Afrika. Zusammen mit seiner Familie ging er nach Namibia und arbeitete als Chirurg in einem ländlich gelegenen Krankenhaus, das viele Flüchtlinge aus den Nachbarländern behandelte. Doch nach einem Jahr wurde seine älteste Tochter schulpflichtig und eine grundsätzliche Entscheidung für das weitere Leben musste getroffen werden: Afrika oder Europa. Die Wahl fiel auf Europa. So kehrten die Gesserts nach Süddeutschland zurück und ließen sich schließlich in Rothenburg nieder. „Ich bin gerne in Rothenburg“, sagt er, „weil es eine kleine, übersichtliche Stadt ist und gleichzeitig international.“
So ganz scheint Bernhard Gessert es noch nicht verwunden zu haben, dass es mit der Herzchirurgie nicht geklappt hat. Eine leise Wehmut klingt an, wenn er davon spricht und sich selbst als „promovierte Gemeindeschwester“ bezeichnet. Doch seine Arbeit erfüllt ihn: „Ich bin so froh, dass ich so vielen Menschen helfen kann. Bei der Arbeit am Patienten bin ich glücklich.“ Das größte Honorar für ihn sei der Dank seiner Patienten. Die Zukunft des Gesundheitswesens in Deutschland sieht er pessimistisch: „Die Medizin wird industrialisiert“, ist er überzeugt. „Die Empathie, die Zuwendung, die Menschlichkeit gehen verloren zugunsten einer Ökonomisierung der Medizin. Und das macht mich traurig.“
Mit Anfang 60 kann man schon mal über die Rente nachdenken. Was hat Bernhard Gessert dann vor? „Auf jeden Fall werde ich mich in der Notfallmedizin engagieren und in irgendeiner Weise Afrika unterstützen,“ sagt er und fügt dann mit einem Grinsen hinzu: „Ich kannte mal einen deutschen Chefarzt. Der kam in Rente und wollte nie wieder etwas mit Medizin zu tun haben. Dann wurde er nach Tansania eingeladen und heute ist er dort Chefarzt. Das könnte mir auch passieren.“ sib

 

Info:

Konkrete Hilfe für Afrika

Regelmäßig reist Dr. Bernhard Gessert nach Afrika. Mit besonderer Begeisterung unterstützt er dabei die Organisation CLaSH in Namibia, die von einer Deutschen ins Leben gerufen wurde. Das Team dieser Institution kümmert sich um Kinder mit einer Hörschädigung, unterrichtet sie und gibt ihnen eine Zukunft. Ein sehr berührendes Video auf der Homepage der Organisation fasst das Ziel der Arbeit zusammen: www.clash-namibia.org.