Ein reisendes Herz Nov01


Ein reisendes Herz

Brigitte Christine Trautmann-Keller ist Schaustellerin mit Leib und Seele

Manche Menschen haben es und manche leider nicht. Die Rede ist von Lebensfreude. Brigitte Christine Trautmann-Keller scheint darauf programmiert zu sein. „Ich bin in siebter Generation Schaustellerin“, erzählt sie, „und Schausteller sind Überlebenskünstler.“ Aktuell haben es ihr die süßen Sachen angetan und sie ist mit ihrem Süßwarenstand auf dem Marktplatz und den Rothenburger Messen und Märkten anzutreffen.

Brigitte Christine Trautmann- Keller und ihr Mann Willi Keller stehen mit ihren Süßwaren auf der Herbstmesse.

Brigitte Christine Trautmann-Keller und ihr Mann Willi Keller stehen mit ihren Süßwaren auf der Herbstmesse.

In Rothenburg ist sie außerdem als offizielle „Märchentante“ bekannt. Ein Titel, der ihrem Engagement nicht ganz gerecht wird. Vom betulich Tantenhaften ist sie meilenweit entfernt. „Ich bevorzuge Märchenautorin oder -erzählerin“, sagt sie selbstbewusst.

Vielseitig aufgestellt
Brigitte Christine Trautmann-Keller lebt mit ihrem Mann Willi Keller in Hartershofen. Etwa 13 Jahre haben sie mitten in Rothenburg im Sulzengässchen gelebt. In Hartershofen haben sie nun nicht nur ihr neues Zuhause, sondern auch Raum für ihr Schaustellerequipment gefunden. Ein Wohnwagen, Stände für Süßwaren, die Angelbude oder ein historisches Karussell sind die Grundlage ihrer Selbstständigkeit.

Willi Keller ist ein „Privater“. So nennen die Schausteller ihre Partner, die branchenfremd dazustoßen. Hätte Corona die Welt nicht erfasst, wären sie seit März von Messe zu Messe und Fest zu Fest gereist. „Wir haben 90 Prozent unseres Umsatzes verloren“, erklärt Willi Keller, der mittlerweile ebenso leidenschaftlicher Schausteller ist wie seine Frau. Die beiden könnten also betrübt sein. Sind sie aber nicht. Das Schaustellerblut in den Adern von Brigitte Christine Trautmann-Keller ist krisenerprobt.

Auf dem heimischen Küchentisch breitet sie ihre Fotoschätze aus. Bilder auf Blechplatten von Männern in dunklen Anzügen, eine Gruppe Arbeiter vor einem Wohnwagen, ihr Großvater vor einer der ersten Panoramen – ein Blick in vergangene Zeiten. Um die Jahrhundertwende war ein Foto etwas sehr wertvolles und Brigitte Christine Trautmann-Keller legt sie in Hülle und Fülle auf den Tisch.

Familie mit neuen Ideen
„Mein Urgroßvater brachte die Panoramen auf die Messen“, erklärt sie. Mit Bildern von Schlachten und Kämpfen wurden die Festbesucher unterhalten. Die Kellers hatten sozusagen erste Kompetenzen im Bildbereich und der Großvater von Trautmann-Keller entwickelte diese Idee weiter. Er ging mit den ersten Fotografieständen auf die Volksfeste und Märkte von Süddeutschland bis Hessen. Er war der Pionier der Fotografie beim reisenden Volk.

„Meine Großmutter ist dann in Kriegszeiten auf der Kirchweih in Uffenheim hängen geblieben“, erzählt sie. Die Familie wurde hier sesshaft, ihre Eltern bauten ein Haus in Uffenheim. Schausteller blieben sie aber weiterhin. „In Würzburg hatten sich die Kellers einen Namen gemacht beim Fotoschießen“, erzählt Brigitte Christine Trautmann-Keller.

Ihre Mutter, die als Gastsängerin immer wieder in der Nürnberger Oper auftrat, hatte die Idee dazu. Ihr Vater hat die technische Vorrichtung dann entwickelt. Im Moment des Schusses wurde vom Schützen ein Foto gemacht. „Ich habe die Arbeit in der Dunkelkammer noch richtig gelernt“, erklärt Trautmann-Keller. Innerhalb von 20 Minuten hatten die Schützen ihren besonderen Moment dann als Foto in der Hand.

Mit dem imposanten Panoramastand war der Großvater Peter Keller (im Bild) von Brigitte Christine Trautmann-Keller auf den Märkten. Neben ihm steht ihre Großtante Mathilde. Im Inneren waren Szenen von großen Schlachten zu Wasser und zu Land zu sehen. Das Foto wurde in den 1920er Jahren aufgenommen. Foto: Privat

Mit dem imposanten Panoramastand war der Großvater Peter Keller (im Bild) von Brigitte Christine Trautmann-Keller auf den Märkten. Neben ihm steht ihre Großtante Mathilde. Im Inneren waren Szenen von großen Schlachten zu Wasser und zu Land zu sehen. Das Foto wurde in den 1920er Jahren aufgenommen. Foto: Privat

„Ich bin da hineingeboren“, sagt Brigitte Christine Trautmann-Keller. Sie erzählt Geschichten von italienischen oder französischen Verwandten. Ihre Großmutter war Seiltänzerin im Zirkus, der Onkel kannte Hans Albers, ihre Tante Mina hat nicht nur eine Pyramide aus neun Menschen gehalten, sondern hatte um die Jahrhundertwende auch zwei Kinder mit dem König von Portugal. „Wir nannten sie Brillantenmina“, erinnert sich Trautmann-Keller. Die Schausteller sind eben ein buntes Volk.

Freiwilliges Lernen
Als Schaustellerkind musste sie von Anfang an mit anpacken. „Wie die Bauernkinder auch“, sagt sie. Ihre Eltern legten zwar Wert auf eine Schulbildung, aber eine weiterführende Schule oder ein Gymnasium war undenkbar. „Ich habe das aber mit Volkshochschulkursen in den Wintermonaten wett gemacht“, erzählt die Schaustellerin.
Ihrer Faszination für das Leben des reisenden Volks steht nämlich eine nicht geringere Leidenschaft gegenüber: Das Schreiben. Schon mit 13 Jahren hat sie einen Gedichtwettbewerb in der lokalen Zeitung gewonnen.

Neben den Gedichten, von denen sie mittlerweile 550 geschrieben hat, haben es ihr die Märchen besonders angetan. „Ich liebe meine Märchen. Morgens denke ich daran, abends denke ich daran“, schwärmt sie. Jeden Tag verbringt sie mindestens eine Stunde mit Schreiben.

Ihre Märchen strotzen vor Kreativität. Sie erzählt vom goldenen Frosch, der unter seiner besonderen Farbe leidet, oder vom „Feuerauge“ und den Schwierigkeiten, Recht zu sprechen und dabei wirklich auf die Wahrheit zu achten. Ihre Themen sind in der Märchenwelt verankert, aber aus dem Leben gegriffen. Gemeinsam mit den Gedichten, unter denen sich auch Worte zu Corona oder so mancher Kanareninsel finden, drückt sie ihr reiches Innenleben aus.

Auf die Frage, woher sie ihre Ideen nimmt, greift sie sich ans Herz und antwortet: „Die sind in mir drin.“ Aktuell soll ihr erster Märchenband mit zwölf Geschichten erscheinen. Aber auch einen Roman hat sie schon veröffentlicht. „Verworrene Wege“ ist ein romantisches Buch über das Leben der Zigeuner und als Trilogie angelegt, der zweite Band ist fertig, der dritte ist im Entstehen.

„Das Schreiben ist mein tägliches Brot“, sagt Brigitte Christine Trautmann-Keller. Parallel dazu war sie aber auch immer auf den Messen vertreten. Seit 1952 ist die Familie auf der Rothenburger Herbstmesse anzutreffen, anfangs noch mit dem Fotostand. Brigitte Christine Trautmann-Keller und ihr Mann stehen aktuell mit der Angelbude und dem Süßwarenstand noch bis 8. November auf der Messe am Schrannenplatz. Außerdem ist Trautmann-Keller als Märchenerzählerin seit Anbeginn beim Rothenburger Märchenzauber engagiert, der vom 6. bis 22. November stattfindet (Wegen Corona leider abgesagt).

Brigitte Christine Trautmann-Keller, Mutter von vier Kindern, kennt nicht nur die Sonnenseiten des Lebens. Das Schaustellergewerbe ist mit viel Arbeit verbunden und sie musste so manche Krise überstehen. „Nicht stehen bleiben, sondern immer weiter machen“, heißt eine ihrer Devisen – und die Freude am Leben dabei nicht vergessen. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie einige Jahre die Kneipe „Gitti‘s und Willi‘s“ in Rothenburg. Die beiden gönnen sich bewusst Auszeiten: mal fahren sie 7 000 km durch die USA, mal nach Verona in die Oper oder sie steigen direkt von der Messe in den nächsten Flieger zum Konzert der Rolling Stones. Selbstverständlich geht es danach sofort zurück, um am Morgen wieder Süßes anzubieten.

„Das Leben ist einfach schön“, sagt Brigitte Christine Trautmann-Keller. am