Ein Künstler hinter der Bar – Simon Kistenfeger gehört zu den besten Bartendern der Welt Jul01


Ein Künstler hinter der Bar – Simon Kistenfeger gehört zu den besten Bartendern der Welt

Melbourne, Oslo, Budapest, Marseille, London, Weißrussland, Equador, Mexiko oder Rothenburg: Simon Kistenfeger ist ein Weltbürger. Über 50 Länder hat er bereist und stand in den meisten davon „hinter dem Brett“. Simon Kistenfeger ist Bartender bzw. Mixologist – das ist der moderne Ausdruck einer Berufsform, die nicht nur das Mixen von Alkohol sondern ein kreatives Verständnis von Aromen, Herstellungsarten und weltumspannender Gastfreundschaft beinhaltet.
„Ich bin schon als Kind mit meinen Eltern viel verreist“, erzählt Simon Kistenfeger, mittlerweile 31 Jahre alt. Er ist leidenschaftlicher Boxer, trägt einen angesagten Bart, seine Kleidung versprüht den Charme des lässigen Understatements und in Ansätzen zeigen sich diverse Tatoos auf seinen Armen – dazu gehört auch die Skyline von Rothenburg, erläutert er stolz. „Denn meiner Meinung nach ist Rothenburg die kleinste Weltstadt“, so Kistenfeger.
Der Name Kistenfeger hat in Rothenburg Bedeutung: Vater Otmar Kistenfeger ist als Lehrer, Mitglied der Rothenburger Hans-Sachs-Spiele und Musiker bekannt. Seine Mutter, Hilde Kistenfeger, ist in der Partei Bündnis 90/Die Grünen engagiert. Und seine Tante Irmy Kistenfeger ist eine renommierte Autorin.
Nachdem Simon Kistenfeger in den letzten vier Jahren in der ganzen Welt unterwegs war, ist er nun seit April immer wieder mal in Rothenburg anzutreffen. Grund dafür ist, dass er als internationaler Brand Ambassador (Markenbotschafter) für eine Premium Tequila Marke eines der größten Spirituosenunternehmen der Welt arbeitet. Er ist einer der ersten Deutschen, der diesen Job bekommen hat, und musste seinen Lebensmittelpunkt dafür nach Europa verlegen.

Im Selbststudium

Den Beruf des Bartenders kann man nicht im klassischen Sinn erlernen. Bei Simon Kistenfeger war es eine Entwicklung, die eigentlich schon im Biergarten an der Tauber „Unter den Linden“ begann. Als Schüler hat er dort gejobbt, dann ging’s zur Bundeswehr und er wurde in der Ordonanz im Offizierskasino eingesetzt. „Dort bin ich das erste Mal mit dem Thema Mixkultur in Verbindung gekommen“, so Kistenfeger. Im Anschluss an die Bundeswehr hat er bei Electrolux eine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht und nebenher in Bars und Clubs gemixt.
Seine Leidenschaft war so groß, dass er unzählige Fachbücher verschlungen hat, im Urlaub diverse Destillerien besuchte, zu Barmessen ging und vor sechs Jahren am ersten Wettbewerb in München teilnahm. Unter 200 Bartendern wurde er sofort Fünfter. Beim nächsten Wettbewerb wurde er Dritter von 400 und nach Paris eingeladen. Also ein flotter Durchmarsch Richtung Spitze.
Die Barszene ist nicht nur gut vernetzt, hier ist auch viel Geld im Einsatz. Mit der Teilnahme an Wettbewerben kann man auf sich aufmerksam machen und als Gewinner erhält man durch gesponserte Reisen Einblicke in Herstellung und Weiterverarbeitung der Spirituosen.
„Ich habe in ganz Europa Bars besucht und Wissen aufgesaugt“, so Kistenfeger. Die Trinkkultur geht dabei Hand in Hand mit der Küchenkultur und ihren Techniken. Ein Mixologist muss sich mit Destillationsprozessen, mit Food-Pairing (der Kombination von außergewöhnlichen Aromen) oder auch mit der molekularen Mixtechnik auskennen. „Denn ein Cocktail kann nur so gut sein wie seine schlechteste Zutat“, merkt Kistenfeger an.
Vielleicht war Simon Kistenfeger damals noch nicht klar, dass er auf dem Weg zur Weltelite war, aber er wusste, um dorthin zu gelangen, muss er hinaus in die weite Welt. „Manche haben das kritisch gesehen, aber wenn ich etwas will, dann setze ich das durch“, sagt er.
Also ist er vor vier Jahren losgezogen. Zuerst nach Asien (Früchte, Streetfood, Gewürze, das Mixen und Kochen haben die Zeit geprägt) und von dort weiter nach Australien. An der Ostküste hat er mit Spaniern, Brasilianern und Chilenen gelebt und in einer angesagten Cocktailbar gearbeitet. Von dort ging es über Sydney weiter nach Melbourne. „Ich habe dort bei Sudanesen gelebt“, erzählt er. Der Kontakt mit Menschen anderer Kulturen ist ihm sehr wichtig.

Boxen ist seine Leidenschaft, hier mit K1 Sportler Remy Bonjasky. Fotos: Privat

Kaffee und Cocktails
Melbourne ist bekannt für seine besondere Kaffeekultur. Kistenfeger hat dort die Bar „Cote Terra“ gemanagt, war für die Cocktails zuständig, und kam gleichzeitig mit „wahnsinnig guten Barristas“ in Kontakt.
„Die Alkoholindustrie ist in einer Großstadt wie Melbourne sehr gut vernetzt“, so Kistenfeger. Seminare und Tastings fanden wöchentlich statt. Kistenfeger verfeinerte seine Molekulartechnik, womit Cocktails zum Beispiel in essbare Form gebracht werden oder eine „Bloody Mary“ klarifiziert wird und wie Wasser aussieht.
Ein Mixologist der Oberliga benötigt täglich mehrere Stunden Vorbereitung für seine Bartätigkeit um zum Beispiel Sirup oder Camparistaub herzustellen. Das Wissen um Küchentechniken ist dabei unentbehrlich und Simon Kistenfeger hat vieles von seiner Mutter gelernt, die für ihn die beste Köchin der Welt ist.
Nach einem halben Jahr in Melbourne zog er weiter zur zweiten Asienrunde: die Philippinen, Japan, Korea, Myanmar, Kambod-
scha, China standen auf dem Programm. Mit seinem Wissen konnte er überall als Gastbartender arbeiten. „Dann habe ich einen günstigen Flug zurück nach Europa gesucht und der ging über Oslo“, erzählt er.
Sein Kurzaufenthalt führte ihn in die Bristol Bar in Oslo und „ich wusste sofort, da will ich arbeiten“, erinnert er sich. Das gediegene Ambiente, ein bisschen „british old school“, und natürlich das Angebot haben die Bar zu einer der bedeutendsten in Norwegen gemacht. Viele Stars besuchen die Bristol Bar, da-
runter auch Kofi Annan, wie sich Simon Kistenfeger erinnert. „Die strengen Alkoholgesetze in Norwegen haben einen kreativen Zugang zur Arbeit verlangt“, so Kistenfeger. Gleichzeitig haben die Spirituosenfirmen die Barszene in Norwegen mit zahlreichen Wettbewerben, Tastings und Fortbildungen motiviert.
In Norwegen hat sich Simon Kistenfeger den letzen Schliff geholt und ist zu einem der Besten der Branche aufgestiegen. Von 13 Einsendungen zu Wettbewerben ist er zwölf mal unter den Top 10 gelandet und hat vier Wettbewerbe gewonnen. 2016 hat er bei einem großen Tequila-Wettbewerb zuerst die skandinavische Auswahl gewonnen und dann in Mexiko unter 26 Bartendern aus der ganzen Welt den 3. Platz geholt.

Simon beim „Rasieren“ einer Agave.

Begeisterung für Agaven
Der Tequila, ein Agaven-Brand, hat es Simon Kistenfeger angetan (eine Agave prangt als Tattoo auf seinem Unterarm). Mit Begeisterung erzählt er von der Herstellung, für die die Agave mindestens acht Jahre wachsen muss, bis sie erntereif ist. Das deckt sich mit dem Ansatz der Nachhaltigkeit, der einer der Lebensgrundsätze von Simon Kistenfeger ist.
Durch seine internationale Bekanntheit wird der Mixologist mittlerweile auf der ganzen Welt zur Gastauftritten oder Seminaren eingeladen. 2017 engagiert ihn die Firma Pernod Ricard, die jährlich den internationalen Tequila Wettbewerb in Mexiko durchführt, um beim fünftägigen Spektakel die Bar für Journalisten und Teilnehmer zu managen.
Von dort hat es ihn danach ein halbes Jahr als Bartender nach Kolumbien geführt bis das Angebot von Pernod Ricard kam, als Markenbotschafter für deren Marke Altos Tequila einzusteigen. Neben Europa sind nun Asien und Afrika seine Einsatzorte um Seminare zu halten, die Marke an Messen zu vertreten oder als Gastbartender zu präsentieren.
„All the finest things need time“ (Alles Gute braucht seine Zeit) ist ein Satz, den Kistenfeger gerne benutzt. Sein Aufstieg in die Weltspitze benötigte seine Zeit – und auch eine andere Idee reift schon seit vielen Jahren in seinen Gedanken. Er könnte sich vorstellen einst eine Bar auf Weltniveau in Rothenburg zu eröffnen. Seit Jahren feilt er am passenden Konzept und ist sich nur noch nicht sicher, „ob Rothenburg dafür schon bereit ist.“
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