Der Kultroller lebe hoch Sep01


Der Kultroller lebe hoch

Vespa-Club Rothenburg – auf zwei Rädern um die Welt und zurück

Treue Mitglieder des Rothenburger Vespa-Clubs (v.li.n.re.): Rainer Zidan, Werner Clausecker, Hermann Pfeiffer, Ilse Schober und Rolf Grießmeier mit einer 5 PS starken Vespa von 1954. Foto: ul

Treue Mitglieder des Rothenburger Vespa-Clubs (v.li.n.re.): Rainer Zidan, Werner Clausecker, Hermann Pfeiffer, Ilse Schober und Rolf Grießmeier mit einer 5 PS starken Vespa von 1954. Foto: ul

Eine Ausfahrt mit einem Vespa-Roller verkörpert ein Gefühl von Dolce Vita, Freiheit und Lebenslust. Genau diesen Eindruck hinterließ ein Amerikaner bei den Rothenburgern Jürgen Zidan („Gog“) und Horst Rosemann, der im Jahr 1961 auf einem solch ausgefallenen Zweirad die Stadt „unsicher gemacht hat“.

Das war die eigentliche Geburtsstunde des Vespa-Clubs Rothenburg vor genau 60 Jahren. Nur 15 Jahre nachdem das erste italienische Kultobjekt von Enrico Piaggio „vom Band lief“.

„Es ist Zeit für eine Verbeugung vor mehr als einem halben Jahrhundert Clubleben und dem unnachahmlichen Lebensgefühl auf zwei Rädern,“ wie Clubmitglied Rolf Grießmeier es zu sagen pflegt. Die Jahre waren erfüllt von großen Rollertreffen in Rothenburg und vielen europäischen Ländern. Die daraus entstandenen Freundschaften im In- und Ausland bleiben der „Rollerfamilie“ ein Leben lang erhalten. Jede Saison beginnt mit dem „Anrollern“ im Fühjahr und endet mit dem „Abrollern“ im Herbst.

Sommer für Sommer gab es 30 Jahre lang in Rothenburg ein Treffen, das sich weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bei den internationalen Vespafans herum gesprochen hatte.

„Zur großen Überraschung aller Beteiligten stattete uns der Rennfahrer und damalige Präsident des Vespa-Clubs von Deutschland, Hans Stuck, mit einem „Horch Oldtimer“ zum 10-jährigen Jubiläum einen Besuch ab“, erinnert sich Grießmeier als wäre es gestern gewesen. Von Jahr zu Jahr waren es mehr Teilnehmer, teilweise fanden sich bis zu 750 „Vespisten“ aus 77 Vereinen auf ihren Rollern zum Jahrestreffen in die Tauberstadt ein.

Fünf Gründungsmitglieder des Vespa-Clubs in Rothenburg an der Stadtmauer. (v.li.n.re): Richard Neugebauer, Albert Dehner, Horst Rosemann, Jürgen Zidan und Hermann Pfeiffer. Foto: privat

Fünf Gründungsmitglieder des Vespa-Clubs in Rothenburg an der Stadtmauer. (v.li.n.re): Richard Neugebauer, Albert Dehner, Horst Rosemann, Jürgen Zidan und Hermann Pfeiffer. Foto: privat

Ein „Vespakorso“ durch die historische Altstadt war jedes Mal der Höhepunkt. Am Samstagabend nahmen bis zu 400 „Vespen“ Aufstellung auf dem Parkplatz vor dem Galgentor. Vor dem Korso wurden die italienischen Zweiräder geschmückt. Blumenkränze, Luftballons, Wimpel, Sonnenschirme, blaue Alufolie, alles war erlaubt. Einige der bis zu vierzig angereisten Clubs erschienen nostalgisch ganz im Stile der 50-er Jahre. Die Damen nahmen als Beifahrerin im Damensitz hinten Platz, die Beine unter dem Petticoat übereinandergeschlagen. Der Herr am Lenker trug ein Jackett, ein weißes Hemd und Krawatte, ganz im Stil des Rock ’n’ Roll und im Elvis Presley Trend.

Am Abend ging es los mit dem Vespaumzug durch die Altstadt. Durch die Umstellung der Uhren auf die Winterzeit wurde der Tag kürzer. Deshalb wurden die Roller mit Lampions geschmückt – ein besonderes „Highlight“ für Touristen und Einheimische am Straßenrand. Anschließend gab es entweder im Hospiz, im Bären oder in der Reichsstadthalle einen Ball­abend. Jedes Jahr zeigten die Rothenburger „Vespisten“ einstudierte Darbietungen wie z.B. ein Männerballett und vieles mehr.

Große und kleine Ausfahrten von Frühjahr bis Herbst standen auf dem Programm. Mit den alten Zweitaktern ging es teils mit den Frauen auf dem Rücksitz zum alljährlich stattfindenden „Euro-Vespa-Meeting“. Dazu gehörten Länder wie Italien, England, Frankreich, Dänemark, Belgien, um nur einige zu nennen. Außerdem wurden auf Einladung vieler befreundeter Clubs in ganz Deutschland gemeinsame Treffen angefahren. Der Vespa-Club Rothenburg war bis 1991 der einzige Verein in ganz Europa, der jedes Jahr ein solches internationales Treffen ausrichtete, eine besondere Leistung der wenigen Clubmitglieder von aktuell 21 „Vespisten“.

Nach 30 Jahren internationaler Treffen in Rothenburg wurde das jährliche „Vespafestival“ auf den deutlich kleineren Festplatz in Detwang verlegt. Viele befreundete Clubs auch aus der Schweiz nahmen die Einladung mit Freude an. Darunter war der immer wieder gern gesehene Gast, der ehemalige belgische „Vespapräsident“ Jacques Chantrain mit einer der größten privaten Sammlungen von geschichtlichen Erinnerungsstücken rund um den Kultroller.

Sommerliche Geschicklichkeitsspiele wurden geboten. Eine nasse Angelegenheit war das Luftballonstechen. Mit Wasser gefüllte, an einer Schnur hängende Ballons, sollten von der Beifahrerin zerstochen zu werden. Ein gelungener Treffer bescherte dem Paar dann einen erfrischenden Guss. Zur Tradition gehört auch, die alljährliche Wahl des Clubmeisters. Einen Pokal erhält, wer die meisten Kilometer bei offiziellen Fahrten zurückgelegt hat.

Eine besondere Vespa hat Werner Clausecker, die sogenannte „Königin“. Sie ist ein limitiertes Prachtstück mit 5 PS und 125 Kubikzentimeter Hubraum aus dem Jahre 1954. Früher wurden ausnahmslos Zweitakter mit Schaltgetriebe gefahren. Um die weiten Fahrten zu den „Vespa World Days“ angenehmer zu gestalten, stiegen einige Clubmitglieder vor Jahren wegen der stärkeren Motoren und der kompakteren Bauweise auf 300 Kubikzentimeter Hubraum Roller um. Treffen in England, Italien, Kroatien, Frankreich (St. Tropez), Ungarn (Plattensee) und viele andere wurden besucht.

Bei jedem großen Treffen stehen Plaketten, Anstecknadeln, Aufkleber und Stände mit Artikeln rund um die Vespa hoch im Kurs. Besonders umringt sind immer die Sammler, die ihre Schätze mit meist hohem Wert tauschen oder verkaufen wollen. Ein besonderes Highlight war die Fahrt nach Nordirland, 1 700 km waren es bis Belfast. Dort trafen sich etwa 3 000 Gleichgesinnte aus ganz Europa.

Angefangen hat die Vespa-Ära in Pontedera bei Pisa, als im April 1946 die ersten 15 Fahrzeuge das Werk verließen. Durch das Tor fuhr die erste „Vespa 98“, die „Paperino“, übersetzt „Entchen“. Sie hatte 98 Kubikzentimeter Hubraum, 3,2 PS und war maximal 60 Kilometer pro Stunde schnell. Es war ein Produkt, entstanden aus Not und Bedrängnis. Eine Erfolgsgeschichte, die nicht an Attraktivität verloren hat. Im Gegenteil, in den letzten Jahren gewann der Vesparoller wieder mehr Freunde bei Jung und Alt.

Auf den Treffen ist heute noch ein „bestimmter Geist“ der Vespa-Verbundenheit und die gemeinsame Leidenschaft zu spüren. ul