Der andere „Buchmacher“ Okt01


Der andere „Buchmacher“

Günther Emig: Verleger mit besonderen Eigenschaften und Kleist-Kenner

Überall sind Bücher. Neben dem Eingang hüfthoch gestapelt und fertig zum Verschicken in Kartons verpackt, fein sortiert in Regalen, überschwänglich auf Tischen gelagert oder griffbereit neben dem Sofa. Dazwischen: Günther Emig.

Günther Emig lebt und arbeitet im Prinzessinnenhaus in Niederstetten. Foto: am

Günther Emig lebt und arbeitet im Prinzessinnenhaus in Niederstetten. Foto: am

Ganz anders als der gemeine Buchmacher setzt er mit all den beschriebenen Seiten nicht auf die Vermehrung seines pekuniären Einsatzes. Er ist Herausgeber, Verleger, Korrekturleser, Typograf, Layouter, Vermarkter und sein eigener Laufbursche in Einem. Sein Verlag heißt „Günther Emigs Literatur-Betrieb“. Die Ironie darin ist Absicht: Als Ein-Mann-Betrieb realisiert er, wozu sonst die Betriebsamkeit einer ganzen Branche nötig ist.

Für ihn schreiben die Autoren allesamt ohne Honorar. „Ich beute mich aus und auch Andere“, sagt er lachend. Markante Wortspiele, die eines im Sinn haben: Bleibendes zu schaffen. Ohne sein Engagement als Verleger hätten diese Autoren keine Öffentlichkeit. Günther Emig macht nur die Bücher, die er für wichtig hält. Besonders schöne, mitunter in Leinen gebunden. Das ist die Art von Literatur, die sich Liebhaber gönnen. Davon wird bekanntlich keiner reich.

Seit etwa 20 Jahren lebt Emig im Prinzessinnenhaus zu Niederstetten. Bei einer Autorenlesung in Heilbronn hat er Gertrud Zelinsky kennengelernt. Zelinsky ist eine Großcousine des Dichters Stefan George und hat zwölf Bücher geschrieben, darunter „Kein Grund zur Panik. Leben und Lieben der reifen Frau“ (1989), das es auf die Bestsellerliste schaffte. „Ich habe Gertrud Zelinsky nach der Lesung damals in Niederstetten besucht und bin geblieben“, erzählt Günther Emig.

Zu dieser Zeit war er Direktor des Kleist-Archivs Sembdner in Heilbronn. Helmut Sembdner, ein bedeutender Kleist-Forscher, hat Teile seiner Sammlung der Stadt Heilbronn verkauft. Günther Emig, der seit 1982 erst als stellvertretender Leiter, dann als Direktor die Stadtbücherei Heilbronn leitete, wurde Ende 2000 der Chef des Kleist-Archivs.

Nische in der Forschung
Das Kleist Achiv Sembdner gehörte neben der Kleistgesellschaft und dem Kleistmuseum Frankfurt (Oder) zu den drei bedeutenden Anlaufstellen in der Forschung rund um den Dichter und Schriftsteller Heinrich von Kleist. Günther Emig musste kreativ ans Werk gehen, um sich mit dem Archiv in der renommierten Kleistforschung zu etablieren. „Ich habe vorwiegend auf die Bibliografie gesetzt“, so Emig. Über 10 000 Werke hat er erfasst und 167 Veröffentlichungen in 19 Reihen realisiert. Emig hat noch andere Maßeinheiten dafür parat: Er hat drei laufende Meter Bücher zu Kleist produziert. Und zusammen mit den übrigen Veröffentlichungen „ein ganzes Billy-Regal voll“, sagt er und lacht. Kleist in Ikea. Das hat was.

Der renommierte Ruf des Kleist Achivs Sembdner unter der Leitung von Günther Emig hat sich aber nicht nur auf die gedruckten Publikationen bezogen. Emig hat neben seinem Faible für Worte in der analogen Welt auch eine Leidenschaft für Buchstaben und Ziffern in der digitalen Welt. Bereits Ende der 80er Jahre hat er als klassischer Tüftler den Computer entdeckt. „Immer mit dem Hintergedanken, wie kann ich damit Bücher herstellen“, erklärt er.

Anfang der 90er hat er dann das Internet erkundet. „Bereits 1996 habe ich die Kleist-Bibliografie ins Internet gestellt“, erinnert sich der Bibliothekar. Programmiert hat er damals alles selbst, denn die Stadt Heilbronn war noch weit entfernt vom eigenen EDV-Fachmann. „Das Internet hat das Kleist-Archiv dann bekannt gemacht“, so seine Einschätzung.

Literarische Anfänge
Die ganzen Jahre über ist Emig täglich vom Prinzessinenhaus hoch über Niederstetten bis nach Heilbronn ins Sembdner Archiv gependelt. Seit zwei Jahren ist er nun im Ruhestand. Sein Tag ist deswegen aber nicht geruhsamer geworden.

Schon in den 70er Jahren hat er einen Verlag gegründet, der sich der literarischen Subkultur widmete. Im Milieu der alternativen Autoren war er bestens vernetzt: Er hat bei Hadayatullah Hübsch, dem experimentellen Beat-Dichter übernachtet, kennt Wolfgang Fienhold, der den Roman zur „Flambierten Frau“ geschrieben hat, und ebenso den Schriftsteller und erfolgreichen Drehbuchautor Frank Göhre. Gemeinsam mit Benno Käsmayr war Günther Emig mit Deutschlands jüngstem Verlag auf der Buchmesse. Die Zeit war bekanntlich wild.

Damals hat Emig Germanistik und Politikwissenschaft in Heidelberg studiert. Er stammt aus einem kleinen Dorf im Odenwald. „Ich war der einzige im Ort, der ins Gymnasium ging“, erzählt er. Da er aber kein Lehrer werden wollte, hat er nach dem Staatsexamen ein Aufbaustudium zum Diplom Bibliothekar aufgesattelt. „Mein Forscherdrang ist zu groß gewesen“, erklärt er. Günther Emig hat sich damals mit expressionistischer Literatur beschäftigt und ist auf der Buchmesse auf einen Verlag gestoßen, der plante, eine Gesamtausgabe der Prosaschriften von Erich Mühsam herauszugeben. „Wir haben uns unterhalten und der Verlag fragte mich, ob ich mitarbeiten will“, erzählt er. „Wenn, dann mache ich das allein“, war seine Antwort.

Im Jahr 1978, zum 100. Geburtstag von Mühsam, erschien die Mühsam-Ausgabe und der „Spiegel“ berichtete auf fünf Seiten darüber. „Ich habe so gut wie nichts dabei verdient“, erinnert sich Emig mit einem Lächeln, „Manche Dinge passieren einfach und man kann nichts dagegen machen.“

Der eigene Verlag
Und so scheint es noch immer zu sein. „Aktuell habe ich fünf Bücher, die fast fertig sind“, erzählt Emig. Sein Ein-Mann-Literatur-Betrieb hat mehrere Schwerpunkte: Die Gegenwartsliteratur mit Jahrbuch und Kurzprosa und die Edition „Hammer + Veilchen“. Gemeinsam mit Dr. Peter Staengle gibt Günther Emig in seinem Verlag die gesammelten Werke von Oskar Panizza heraus, einem Vertreter der Münchner Moderne, dessen Bücher schon kurz nach der Veröffentlichung verboten und konfisziert wurden. Aktuell ist der vierte Band erschienen. Ebenfalls ein Schwerpunkt ist die Forschung zu Kleist. Seit 2019 erscheint das Jahrbuch „Ach, Kleist! Für alle, die etwas (Neues) zu sagen haben“. Neu aufgelegt wird auch die Grafic-Novel „Penthesilea“.

Außerdem verlegt Günther Emig regionale Literatur. Das aktuelle Buch von Hartwig Behr, „Zur Geschichte des Nationalsozialismus im Altkreis Mergentheim“, hat Emig auf eigene Initiative (wie bei vielen Projekten) beim Autor angeregt und dann verlegt. Noch dieses Jahr soll eine weitere regionale Publikation erscheinen. Seine Nähe zu den „alternativen Autoren der 70er Jahre“ wurde natürlich auch zum Buch. „Solange diese Vögel noch leben, musste ich sie zum Singen bringen“, meint Emig. Gemeinsam mit Peter Engel hat er „Die untergründigen Jahre – Die kollektive Autobiographie ›alternativer‹ Autoren aus den 1970ern und danach“ herausgegeben. Knapp 30 Autoren, darunter Benno Käsmayr, Gerd Scherm, Fitzgerald Kusz erzählen von den „Gegenbuchmessen“ und dem Kampf der „kleinen Bertelsmänner“ gegen das etablierte Verlagswesen.

Ein Langzeitprojekt ist dagegen das 1 818 Seiten umfassende Werk von Barbara Wilk-Mincu über die Rezeption von Heinrich von Kleist in der Bildenden Kunst. Drei Bände, in Leinen gebunden, sind aktuell erschienen und liegen verpackt und versandbereit im Eingang des Prinzessinnenhauses. Ein Bildband soll noch folgen. Wilk-Mincu hat 40 Jahre daran gearbeitet, Emig sitzt auch schon fünf Jahre da­rüber. Wie bei allen seinen Büchern hat er auch hier alles selbst gemacht: Den Text gesetzt, den Seitenumbruch, Bildbearbeitung, Korrekturlesen, die ganze Druckvorstufe; nach dem Druck dann Vermarktung, Versand, Büroar­beiten. Das Wissen dafür hat er sich autodidaktisch erarbeitet.

Günther Emig ist 67 Jahre alt. Bis 70 will er auf alle Fälle noch weitermachen. „Das Schöne ist, im Ruhestand zwingt mich ja keiner dazu“, sagt er, „Ich könnte ja auch Tauben füttern oder im Wirtshäusle sitzen.“ Günther Emig hat sich für das „Buchmachen“ entschieden. am