Das Wahrzeichen Rothenburgs – Das Plönlein: Ein ganz normales Haus erobert die Welt Mai02


Das Wahrzeichen Rothenburgs – Das Plönlein: Ein ganz normales Haus erobert die Welt

Rothenburg ist Plönlein und Plönlein ist Rothenburg. Das Eine gibt es nicht ohne das Andere. Millionen von Touristen lichten das Ambiente mit dem Haus Plönlein 2 in der Mitte, dem Siebersturm und dem Turm in der Kobolzellersteige zur Seite, alljährlich ab. Asiaten, Amerikaner, Italiener und andere bilden bei schönem Wetter eine mit Fotokameras behängte Traube vor dem Haus.
So groß die Begeisterung bei den Besuchern Rothenburgs ist, so sehr sehen die Einheimischen ihre Stadt mit der Reduzierung auf dieses eine Fotomotiv verkannt. Rothenburg hat viele malerische Ecken und imposante Häuser – aber warum bewegt nur das Plönlein die Herzen der Menschen auf der ganzen Welt in diesem Maße?
Wann der Siegeszug dieses Hauses begann, ist heutzutage ebensowenig nachvollziehbar wie die individuelle Geschichte des Hauses. „Wohnhaus, zweigeschossiger Traufseitenbau, vorkragendes Fachwerk, Untergeschoss mittelalterlich, Obergeschoss 16. Jahrhundert, Fassade zum Plönlein 19. Jahrhundert“, steht in der Denkmalliste. Hier fanden nie Grabungen statt, ob es einen Vorgängerbau gab oder wann genau der Grundstein gelegt wurde – einfach nichts ist diesbezüglich belegt. Das Haus Plönlein 2 ist genau genommen ein ganz normales Wohnhaus – und wird auch heute noch bewohnt.

Das Wohnzimmer von Karin und Gerhard Keil im Plönlein ist modern und lichtdurchflutet.                               Foto: am

Das Wohnzimmer von Karin und Gerhard Keil im Plönlein ist modern und lichtdurchflutet. Foto: am


Seit 31 Jahren leben Karin und Gerhard Keil im Plönlein. Hier haben sie ihre beiden Kinder groß gezogen und lauschen beim Einschlafen dem Plätschern des vorgelagerten Brunnens.
Durch Zufall erfuhren sie einst, dass das Haus, das im Besitz der Stadt ist, saniert wird und zeigten ihr Interesse als neue Mieter. Auf 75m2 haben sie es sich wohnlich eingerichtet. Das Haus zählt immerhin 32 Fenster und die Räume sind lichtdurchflutet.
„Hinter der Gipskartonverkleidung befinden sich noch die originalen Lehmgefache“, so Gerhard Keil, der als Polizist noch bei der Stadtpolizei tätig war. Im Obergeschoss ist das Fachwerk teilweise frei gelegt.
Man sieht, das Plönlein war schon immer bewohnt. Die Fenster stehen offen zum Lüften, Blumenkästen schmücken das Erdgeschoss.                                                    Foto: Stadtarchiv

Man sieht, das Plönlein war schon immer bewohnt. Die Fenster stehen offen zum Lüften, Blumenkästen schmücken das Erdgeschoss. Foto: Stadtarchiv


Eine gerade Wand sucht man im Plönlein vergeblich. Hier müssen sich Mensch und Mobiliar an die Spuren der Jahrhunderte anpassen. Im Plönlein zu wohnen ist natürlich etwas Besonderes und selbst in den Wohnräumen hängen diverse Plönleinansichten.
Die Touristen an sich stören die Bewohner des Hauses nicht. „Nur wenn beim Fotografieren nachts geblitzt wird, dann haben wir das Gefühl ein Gewitter zieht auf“, so Gerhard Keil. Verwunderte Blicke ernten die Keils aber, wenn sie das Haus betreten bzw. sich aufmachen zu ihrem Schrebergarten vor der Stadtmauer. „Was, darin kann man wohnen?“ schallt es ihnen dann manchmal entgegen.
Der malerische Winkel rund um das Haus Plönlein 2 hat im Siegeszug der touristischen Entdeckung Rothenburgs von Beginn an als Symbol für das unberührte Kleinod gedient.

Siegeszug des Tourismus
Um 1803, als die reichsstädtische Zeit Rothenburgs endete, verschwand die Stadt von der politischen Landkarte. Etwa 100 Jahre später war sie ein „deutsches Nationaldenkmal“ und eine weltbekannte Fremdenverkehrsstadt (in Gabriele Moritz, Rothenburg o.d.T. im 19. Jahrhundert: Wandel zur Verkehrsstadt. S. 345 ff)
Im Jahr 1860 waren „50 erholungsbedürftige Großstädter während der Sommersaison im Wildbad“, um 1900 zählte die Stadt 30 000 Übernachtungen (zum Vergleich: 2016 wurde erneut die Schwelle von 500 000 Übernachtungen überschritten). Gabriele Moritz sieht den Grund dafür in der verbesserten Anbindung an Eisenbahn- und Straßennetz und das tausendfach in Wort und Bild weltweit propagierte Klischee von der Reichsstadt als unberührtem Kleinod des Mittelalters. „Schon um die Jahrhundertwende war das unzählig abgepinselte und abgelichtete Plönlein im reisefreudigen, angelsächsischen Ausland geradezu zum Synonym für ‚good old Germany‘ geworden“ (Moritz, S. 346).
Der Name Plönlein soll dabei auf das lateinische „planum“ (Ebene) zurückgehen, so Manfred Vasold in „Geschichte der Stadt Rothenburg o.d.T.“, Thorbecke 2008, S. 145.
Wer genau in dem Haus gelebt hat, ist nicht mehr nachvollziehbar. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts gab es keine Hausnummern. Diese wurden erst um 1806 nach der Übergabe Rothenburgs an das Bayerische Königreich durch einen Beschluss Napoleons eingeführt.
In den Archivalien sind unter der Benennung Plönlein, was nicht exakt mit dem Haus Plönlein 2 übereinstimmen muss, im Jahr 1575 ein Schreiner genannt, 1600 ein Schlosser und 1702 ein Kürschner. Belegt ist dagegen, dass das Plönlein 2 im Jahr 1808 im Besitz des Posamentiers Junker war. 1843 gehörte es dem Webermeister Michael Alt, 1868 dem Melkermeister Leonhard Schmidt. Bis in die 1920er Jahre war das Plönlein 2 in Privatbesitz. Die heutige Bewohnerin Karin Keil erinnert sich auch an Vorrichtungen zum Einlegen von Brettern in ihrem Küchenfenster zur Straße hinaus, was auf ein früheres Ladengeschäft schließen ließe.
Es würde nahe liegen, dass sich dereinst rund um den öffentlichen Brunnen Geschäftsleute und Handwerker angesiedelt haben. Der Bau des Brunnens vor dem Plönlein wurde 1570 von Rothenburgs erstem, städtisch angestellten Brunnenmeister Hans Oed initiiert (so Ludwig Schnurrer in Die Linde: Brunnen und Brunnenmeister in Rothenburg im 16. und 17. Jahrhundert. Jahrgang 1993, Seite 54).
„Der Brunnen mit den Fischtrögen zur Zucht, die heute nicht mehr in Betrieb sind, erhält seine Wasserzuleitung noch immer über die historische Trasse Friedhof, Steingarten, Spitalgasse“, so Stadtbaumeister Michael Knappe.

Begehrte Kulisse
Das Plönlein hat es zu vielerlei Ehren geschafft und wurde auch von der aufstrebenden Filmindustrie entdeckt. Zahlreiche Filme wurden in den 1950er Jahren und danach in Rothenburg gedreht. Einer, der für viel Aufsehen gesorgt hat und mit mehreren Oscars ausgezeichnet wurde, war der amerikanische Fantasyfilm „Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm“ aus dem Jahre 1962 mit Karlheinz Böhm in der Hauptrolle. Gedreht wurde unter anderem vor dem Plönlein.
Aber auch den kritischen Geist erreichte das Plönlein – und zwar als Kulisse für eine Karikatur in der Satirezeitschrift Simplicissimus im Dezember 1913. „Lieben sollt ihr mich, ihr Wackes!“ ist der Titel der Zeichnung von Thomas Theodor Heine, Mitinitiator des Simplicissimus.
Das Plönlein ist hier bewusst gewählte Kulisse. Die Karikatur thematisiert die Zabern-Affäre, die das Deutsche Reich in seine große Krise vor dem Ersten Weltkrieg führte – ausgehend von den Verfehlungen preußischer Offiziere gegen die Zivilbevölkerung.
Richard Schmitt schreibt in seinem Beitrag in „Die Linde“ (Jahrgang 1994, Seite 77) über die Karikatur im Simplicissimus, dass es unbekannt ist ob Thomas Theodor Heine Rothenburg selbst besucht hatte oder das Motiv vielleicht von einer Postkarte kannte.
Das Plönlein war und ist auch heute noch das Synonym für eine heile Welt, für Beständigkeit, für Glaubwürdigkeit und für das Überdauern von Werten in turbulenten Zeiten. Selbst das offizielle Hinweisschild auf der Autobahn A6 für die herannahende Stadt Rothenburg und ihre Sehenswürdigkeiten zeigt das Ambiente des Plönleins. So hält die Erfolgsgeschichte eines ganz normalen Hauses noch immer an. am