Burgherr oder Mühlenbesitzer Aug01


Burgherr oder Mühlenbesitzer

Gerd Raisch erzeugt Strom in der „Ölmühle“ bei Creglingen

Der leise Antrieb des Mühlrades rührt von Zahnrädern her, deren Zinken aus Holz und aus Eisen ineinander greifen. Foto: ul

Der leise Antrieb des Mühlrades rührt von Zahnrädern her, deren Zinken aus Holz und aus Eisen ineinander greifen. Foto: ul

Auf der Suche nach sich selbst durchstreifte Gerd Raisch 55 Jahre lang verschiedenste Länder wie Ägypten, Indonesien, Tibet und Indien. Die Lebensweise der eigenen Vorfahren und die Kultur fremder Völker zogen ihn von jeher in ihren Bann.

Beruflich konnte er sich als ausgebildeter Elektroinstallateur und späterer Mitarbeiter im Controlling der Firma Alcatel (ein französischer Hersteller von Systemen und Geräten für die Telekommunikation) mehrere Wochen Urlaub erlauben.

„Ich bin einfach ein Kulturfreak, der Länder und Menschen kennen lernen will“, erzählt er. Von seiner Jugend an träumte er davon, einmal in einer Mühle oder einer Burg sesshaft zu werden.

Vor ca. 20 Jahren stieß der Weltenbummler per Zufall auf die „Ölmühle“ zwischen Münster und Creglingen, die sein künftiges Zuhause werden sollte. Die Nähe zum historischen Rothenburg und die Riemenschneider-Altäre in Detwang und in der Herrgottskirche schienen das richtige Umfeld für den Kulturbegeisterten zu sein. Drei Jahre lang pendelte der Visionär zwischen seinem neuen Domizil und dem Stuttgarter Arbeitsplatz hin und her. Die Geschichte der „Ölmühle“ erforschte Raisch natürlich auch ganz genau.

Im Jahre 1737, als Lohe-, Walk- und Ölmühle konzipiert, wurde sie im Herrgottstal zur Herstellung von Gerbmitteln, Ölen sowie zur Veredlung und Verdichtung von Stoffen (Walken) genutzt.

Durch die Erweiterung des Gebäudes und der Installation zweier Walzenmahlstühle im Jahr 1860 wurde sie zu einer „Altdeutschen Mühle“ erweitert. Der Umbau ermöglichte die Produktion von Ölen und Mehl. „Der Walzenmahlstuhl war damals der unmittelbare Vorläufer der Mahltechnik des künftigen Industriezeitalters,“ erklärt Raisch.

Früher mussten die steinernen Mahlwerke im Gegensatz zu den Walzen, von Zeit zu Zeit geschärft werden, was mit einer Art Steinhammer geschah. Durch die neue Mahlart mit Walzen hatte sich diese Arbeit erübrigt.

Später wurde das sogenannte Becherwerk, mit dem das Getreide aus dem Kornspeicher nach oben in den Mahlbehälter transportiert wurde, zur neuesten Errungenschaft in der „Ölmühle“. Das Einfüllen des Mahlgutes per Hand gehörte der Vergangenheit an. Beides ist in der „Ölmühle“ noch zu sehen. Die Stilllegung der Getreidemühle folgte nach dem Zweiten Weltkrieg.

Bis ca. 1970 wurde die Mühle für Schrotmahlgänge genutzt. „Viele Mühlen fungierten, wie auch die Lukasrödermühle in Rothenburg, noch lange zum Schroten von Getreide für Tierfutter“, erzählt der heute 75-Jährige.

Was Gerd Raisch beim Kauf des Anwesens im Jahr 2001 nicht wusste, ist, dass er nicht im Besitz von Wasserrechten war. Irgendeinen Zweck sollte die Mühle jedoch in Zukunft noch erfüllen. „Ich fühlte mich zu der alternativen Stromerzeugung mit Wasserkraft berufen“, beschreibt Raisch seine damalige Zukunftsidee.

Durchhaltevermögen gefragt
Die Stromerzeugung mittels Wasserkraft lag nahe. Gemeinsam mit dem Mannheimer Ingenieur und Mühlenliebhaber Felix Körner ging es ans Werk. Er hatte damals die Lukasrödermühle rekonstruiert und war im Begriff, die Schwarzenmühle wieder herzustellen. Drei Jahre lang arbeiteten Raisch und Körner Seite an Seite an der technischen Installation zur Stromerzeugung per Wasserkraft. Im Jahr 2005 konnten die Wasserrechte wieder erworben werden. Der Antrag auf die Stromlieferung ins öffentliche Netz war eine besondere Herausforderung. Glücklicherweise konnte Gerd Raisch die im Stadtarchiv vorhandenen, für den Antrag notwendigen Angaben, die in der altdeutschen Schrift „Sütterlin“ verfasst waren, übersetzen. Aufgrund der geänderten Auflagen wurde die Stromeinspeisung sieben Jahre nach der Rückgewinnung der Wasserrechte erst im April 2013 möglich. Mit dem technischen „Know-how“ Körners konnte die Mühle als ein effektives Wasserkraftwerk zur Stromerzeugung in Betrieb gehen.

Die „Raisch-Mühle“ in Creglingen aus dem Jahr 1737 dient heute der Stromerzeugung. Foto: ul

Die „Raisch-Mühle“ in Creglingen aus dem Jahr 1737 dient heute der Stromerzeugung. Foto: ul

„Es tat sehr gut, wie ich einmal mithören durfte, wie Bürgermeister Uwe Hehn dem Stadtbaumeister meine Probleme erklärt hatte“, freut sich Raisch über die stets moralische Unterstützung des Stadtoberhauptes. Mit viel Herzblut und hohen finanziellem Aufwand baute er sich ein gemütliches Heim. Gegenüber des Mühlengebäudes errichtete Raisch ein kleines Haus mit Holzlege und einem gemauerten Backofen. Auch für den Innenausbau im Wohnbereich hatte er ganz eigene Ideen.

„Die Küche mit Zugang zu einer Vorratskammer wurde zu einem Raum. Dabei gab es so manche Überraschung. Die trennende Wand war aus leichtem Ytongstein, die sich mühelos entfernen ließ. „Als die Steine entfernt waren, stellte ich fest, dass dieses Mäuerchen eine tragende Funktion für das im ersten Stock gelegene Marmorbad hatte, und ich brach mit samt dem Badezimmerboden ein“, erinnert sich Gerd Raisch an eine von vielen unvorhersehbaren Situationen. Er ließ sich nicht beirren und baute einen gemütlichen Kachelofen, der im Parterre mit Holz geschürt wird, ein. Der Ofen spendet eine wohlige Wärme in den beiden Obergeschossen. Kleine Zimmer wurden renoviert, um Gäste nicht nur aus der Zeit seines Weltenbummler-Daseins zu beherbergen. Fertig ist er noch lange nicht. Das letzte Zimmer wird gerade renoviert.

Aber nicht nur durch seinen erfüllten Jugend- traum in einer Mühle leben zu können, nein, auch durch die Kultur der Region fühlt sich der heutige Rentner zu Hause. Zwei Jahre war er erster Vorsitzender des Kultur- und Heimatvereins in Creglingen. Als Musikfreund, besonders von Werken Johann Sebastian Bachs, liebte Gerd Raisch das Orgelspiel des ehemaligen Rothenburger Kirchenmusikdirektors Ulrich Knörr. Natürlich ist er auch auf den Spuren der Geschichte Rothenburgs unterwegs.

Sein größter Wunsch ist es, die Mühle mit all ihren noch vorhandenen technischen Zeugnissen aus der Vergangenheit für die Nachwelt zu erhalten und weiterzugeben. ul