Aufbruch in ein neues Leben Aug01


Aufbruch in ein neues Leben

Oliver Körber hat die Glasknochenkrankheit. Trotzdem lebt er Eigenständigkeit.

Oliver Körber in seinem neuen Zuhause: Die ersten Kartons sind schon eingezogen, Renovierungsarbeiten stehen noch an. Hier will er mit 42 Jahren ein eigenständiges Leben wagen. Foto: am

Oliver Körber in seinem neuen Zuhause: Die ersten Kartons sind schon eingezogen, Renovierungsarbeiten stehen noch an. Hier will er mit 42 Jahren ein eigenständiges Leben wagen. Foto: am

Auf seinen physisch eigenen Beinen zu stehen, das war Oliver Körber noch nie vergönnt. Aber im ideellen Sinn auf den eigenen Beinen zu stehen, das packt er nun an. Seit September hat er eine eigene Wohnung in Rothenburg gemietet.

Das war eine der Voraussetzungen, um den Antrag zum persönlichen Budget für Assistenz bewilligt zu bekommen. Zweieinhalb Jahre sind seit Antragstellung vergangen. Vor wenigen Wochen kam nun die Zusage vom Bezirk. Oliver Körber steht ein eigenes Assistenzteam von fünf bis sechs Vollzeitkräften zu. „Ich suche auf Hochtouren nach Menschen mit Erfahrung im Bereich Pflege“, sagt er. Oliver Körber lebt noch bei seinen Eltern. Er macht nun mit 42 Jahren, was andere mit 20 machen: Er will ausziehen und eigenständig werden.

Oliver Körber hat die Glasknochenkrankheit (Typ 3). Eine sehr seltene Erkrankung, von der es nur rund 5 000 Betroffene in Deutschland gibt. „Ich bin schon mit gebrochenen Knochen auf die Welt gekommen“, erzählt er.

Jammern hilft nicht
Die ersten sechs Jahre habe er nur im Bett verbracht. Trotzdem hatte er in diesem Zeitraum um die 60 Knochenbrüche – kaum war der eine verheilt, kam der nächste. Gehversuche waren unmöglich und die therapeutischen und medizinischen Maßnahmen mit den heutigen Möglichkeiten nicht vergleichbar.

„Insgesamt dürften es in meinem Leben so um die 100 Brüche gewesen sein“, meint er. Die Schmerzen seien wohl die gleichen wie bei Brüchen ohne Glasknochenkrankheit. „Vielleicht heilt es bei mir etwas schneller“, fügt er an.

Er hat diverse Operationen hinter sich, bei denen seine Knochen mit Nägeln begradigt wurden. Aber mit den Jahren sei es besser geworden, kommentiert er. Wann er das letzte Mal beim Arzt war, weiß er schon gar nicht mehr. „Höchstens mal zur Routineuntersuchung beim Hausarzt“, erzählt er, „Mir geht es verhältnismäßig gut.“

Oliver Körber ist genau das, was man sympathisch unkompliziert nennt. „Die Krankheit ist ein Teil meines Lebens, aber nicht mein Leben“, ist seine Einstellung. Grundsätzlich müsse man sich mit den Rahmenbedingungen abfinden und „wenn ich schlechte Laune an den Tag lege, wird mein ganzes Leben schlechter“, sagt er.

Trotz körperlicher Einschränkungen ist er seinen Lebensweg zielstrebig gegangen. Oliver Körber war auf dem Reichsstadtgymnasium. „Ich saß damals im Schieberollstuhl und hatte einen Zivi an meiner Seite“, erzählt er. Erst als er in der 8. Klasse war, gab es einen Aufzug im Gymnasium. Bis dahin hat ihn der Zivi im Rollstuhl die Treppe hochgezogen. „Das war natürlich nicht ideal“, kommentiert Körber.

Oliver Körber kann seine linke Hand gar nicht benutzen, die rechte Hand nur zu 60 Prozent. „Ich hatte damals in der Schule schon einen Laptop“, erinnert er sich, „Das war ein cooles Teil.“ In jungen Jahren konnte er die Hand noch etwas besser bewegen und Mathematikaufgaben auf Papier schreiben. „Da musste mir aber jemand das Blatt festhalten“, erinnert er sich.

Zielstrebig und motiviert
Nach dem Abi war klar, entweder studiert er Mathe oder Informatik. „Mathe war das Fach, wo ich nie etwas lernen musste“, erzählt er. Letztendlich hat er sich doch für Informatik entschieden und bis 2007 an der Fernuni Hagen studiert. „Ich war Vorreiter im Bereich Videoprüfung“, erinnert sich Oliver Körber. Ein Universitätsmitarbeiter kam nach Rothenburg und er konnte unter Beobachtung zu Hause seine Prüfungen ablegen.

Nach dem Studium übernahm er erst eine Stelle als Softwareentwickler für ein Consulting Unternehmen in Augsburg, bevor er wieder an die Uni zurückging. „Ich hatte einen Vertrag als Lehrassistent an der Uni Hagen“, so Körber. Zu dieser Zeit begann er auch seine Dissertation zu schreiben. Aber so wie es viele trifft, traf es auch ihn: der Vertrag wurde nicht verlängert. „Ich habe dann aus Zufall den Job meiner Schwester Katja übernommen“, erzählt Oliver Körber schmunzelnd. Die Nähe zur Informatik liegt in der Familie und er stieg als Softwareentwickler bei einer Ulmer Firma ein.

„Danach hatte ich noch ein Stipendium an der Uni, um meine Dissertation weiterzubringen“, erzählt Körber. Ganz fertig ist sie noch nicht, aber das Thema dreht sich um die möglichst intelligente und automatische Lösung von grünen Ideen mittels Informationstechnik. Seit November 2019 ist er nun bei der ortsansässigen Firma Kloppe Media in Teilzeit angestellt.

Beruflicher Erfolg
Für Oliver Körber ist es ganz normal, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Im Kontext der Erkrankung ist es jedoch außergewöhnlich. „Manche Anträge sehen beim Ausfüllen die Sparte Einkommen gar nicht vor“, sagt er.

Bis vor fünf Jahren sind diese Meilensteine und alle alltäglichen Geschehnisse für ihn in der Wohnung abgelaufen, zwischen Bett und Rollstuhl. Sein Rollstuhl hatte nur einen einfachen Motor und war nicht wirklich im Außenbereich einsetzbar. „Meine Kontakte waren weitgehend auf den digitalen Bereich beschränkt“, erzählt er. Die gesamte Pflegeleistungen übernahm immer seine Familie. „Meine Eltern haben endlos viel für mich getan und ich bin ihnen zutiefst dankbar“, sagt er mit Nachdruck.
Vor fünf Jahren geschah dann ein einschneidendes Erlebnis: Oliver Körber bekam seinen neuen Rollstuhl, der nun bestens für den Außenbereich geeignet ist. „Ich bin mittlerweile schon 10 000km damit gefahren“, sagt er.

Oliver Körber kurz vor Beginn einer Stadtratssitzung in der Reichsstadthalle. Seit 2020 sitzt er für die Grünen im Stadtrat. Foto: am

Oliver Körber kurz vor Beginn einer Stadtratssitzung in der Reichsstadthalle. Seit 2020 sitzt er für die Grünen im Stadtrat. Foto: am

Er hat seinen Mut zusammengenommen und sich mit 37 Jahren aufgemacht, etwas von der Welt zu entdecken. Sein Rollstuhl kann Bordsteinkanten bis zu 3 cm überwinden. Oliver Körber kennt zwar die Wege in Rothenburg, die er fahren kann. Gleichwohl macht er deutlich, dass hier vielerorts Verbesserungsbedarf ist.
„Nach und nach habe ich mir ein Leben aufgebaut“, sagt er. Anfangs sei er regelmäßig ins Rothenburger Zentro gefahren und habe dort einen Kaffee getrunken. „Ohne Begleitperson springt man dann auch mal über seinen Schatten und fragt nach Hilfe“, sagt er zurückhaltend.

Man merkt, dass ihm das nicht leicht fällt. „Ich bin inzwischen etwas geübter“, fügt er an. Die Menschen haben dabei ganz unterschiedlich auf ihn reagiert. Manche sprechen ihn an, fragen was er hat. „Da strömt viel auf einen ein, aber man entwickelt auch Neugier“, erzählt er.

Oliver Körber ist Mitglied im Inklusionsbeirat der Stadt und seit 2019 auch bei den Rothenburger Grünen. „Anfangs hat mich eine Bekannte zu den Treffen der Grünen eingeladen. Ich bin da ganz zwanglos hin“, erzählt er. Man hat sich gut verstanden und als im März 2020 die Stadtratswahl anstand, kam Oliver Körber auf den Listenplatz 4. „Ich hatte eigentlich keine großen Hoffnungen“, erzählt er. Aber es hat geklappt. Erst auf Nachfrage, was ihm das bedeutet, sagt er: „Es ist schön, wenn man merkt, man kommt doch bei den Menschen an.“

Assistenten gesucht
Sein nächstes Ziel ist nun die Selbstständigkeit in der eigenen Wohnung, für die er schon seit September Miete zahlt. Zweieinhalb Jahre hat er dafür gekämpft. Jetzt, auf der Zielgeraden, geht es um die Suche nach den richtigen Assistenten für haushaltsnahe Dienstleistung und Pflege, die vom Bezirk und verschiedenen Trägern bezahlt werden. Eine Kölner Firma managt Verwaltung und Einsatzpläne, denn Oliver Körber braucht täglich an 24 Stunden Unterstützung. Neben Kenntnissen in der Pflege ist ihm vor allem der persönliche Zugang wichtig. Interessierte können mit ihm über: mail@oliverkoerber.de Kontakt aufnehmen. am