Auf Sinnsuche Aug01


Auf Sinnsuche

Rothenburg ist ein Knotenpunkt von Pilgerwegen

Wer die Augen offen hält, stößt in und um Rothenburg herum immer wieder auf die Jakobsmuschel: Entweder als weißes Signet auf blauem Grund an Bäumen oder Zäunen angebracht, oder als Messingguss zwischen den Pflastersteinen in der Herrngasse, Oberen Schmiedgasse, vor der St.-Jakobs-Kirche oder auch in der Galgengasse. Grund dafür: Rothenburg ist ein Knotenpunkt verschiedener Jakobswege.

Oliver Gußmann, Touristenpfarrer in Rothenburg und als Referent beim Gottesdienstinstitut in Nürnberg zuständig u.a. für die Pilgerbegleiterausbildung, erklärt die unterschiedlichen Wege: Von Würzburg und Bamberg führen zwei Wege über Uffenheim nach Rothenburg. Der „fränkische Camino“ erreicht Rothenburg über Nürnberg und Heilsbronn. Die hier angekommenen Pilger können über Speyer oder Tübingen (bis Schrozberg ein gemeinsamer Weg) auf zwei Routen den Weg Richtung Frankreich einschlagen oder über Ulm in die Schweiz pilgern. Endpunkt aller Pilgerwege ist Santiago de Compostela in Nordspanien.

Pilgern als Zäsur im Leben

Die in den Boden eingelassenen Muscheln zeigen den Weg aus der Stadt heraus. „Das kann sonst manchmal schwierig sein“, so Gußmann. Er ist im Jahr 2015 in fünf Wochen den kompletten Jakobsweg von Rothenburg nach Santiago de Compostela mit dem Rad gefahren. 2 800 Kilometer. Er weiß also, wovon er spricht.

Pfarrer Dr. Oliver Gußmann und weitere ausgebildete Pilgerbegleiter bieten Pilgertouren unter Einhaltung der aktuellen Coronaregeln an.

Pfarrer Dr. Oliver Gußmann und weitere ausgebildete Pilgerbegleiter bieten Pilgertouren unter Einhaltung der aktuellen Coronaregeln an. Foto: am

Was ist nun der Unterschied zwischen Wandern und Pilgern? Den Naturgenuss hat man beides Mal, aber beim Pilgern kommt die innere Einkehr dazu. Gußmann erzählt von einer Regel unter Pilgern: die 1. Woche setzt man sich mit seinem Körper auseinander, die 2. Woche mit dem Weg, die 3. Woche mit der Seele, also der persönlichen Sinnfrage. „Viele Pilger sind Sinnsucher“, so Gußmann. Meist gehen Menschen nach Lebenseinschnitten eine Strecke auf einem der Jakobswege. Das Wegenetz des europäischen Jakobswegs gehört übrigens seit 1993 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Pilgerwege, auf denen schon Abertausende Pilger ihre Spuren hinterlassen haben und die verschiedene Kulturen verbinden, wirken auf den Einzelnen. Zur körperlichen Anstrengung kommt die geistige Affinität. „Religiöse Menschen können hier ihren Glauben vertiefen“, so Gußmann. Gleichwohl muss nicht immer der Glaube Ursprungsgedanke für die Pilgertour sein. „Ich habe auch einige Atheisten beim Pilgern getroffen und war verwundert“, erzählt er. Der heutige Pilger hat einen anderen Zugang als die Menschen im Mittelalter und entzieht sich einer eindeutigen Definition.

Gemeinsam mit Michael Kaminski (Religionspädagoge und Pilgerbegleiter) und Kirchenrat Thomas Roßmerkel hat Gußmann ein neues Handbuch zum Pilgern herausgegeben: „Wege zum Wachsen eröffnen“ (ISBN 978-3-00-065182-3). Von der Soziologie des Pilgerns über das Pilgern in den Weltreligionen bis hin zu Tipps zum Packen des Rucksacks reichen die Beiträge der 20 Autoren. Das Buch richtet sich an erfahrene Pilger, die tiefer in das Thema einsteigen möchten.

Da das Jakobspilgern einen regelrechten Boom erlebt, kann man sich zum Pilgerbegleiter ausbilden lassen (Infos unter www.pilgern-bayern.de). Jährlich werden 20 Pilgerbegleiter ausgebildet. „Im nächsten Jahr bieten wir wegen der großen Nachfrage zwei Kurse an“, so Gußmann. Eine gute Pilgererfahrung ist Voraussetzung, um ins Auswahlverfahren zu kommen.

Pilgern ist eine Lebensentscheidung und – wie immer bei den grundlegenden Dingen – sollte man klein einsteigen. Es muss nicht sofort die mehrwöchige Pilgertour sein. Tagesetappen rund um Rothenburg bieten sich an. Eine Broschüre mit Erklärungen und Wegbeschreibungen zum mittelfränkischen Jakobsweg gibt es in der St.-Jakobs-Kirche. Eine Mehrtagestour von Oettingen nach Giengen bietet Pilgerbegleiterin Maria Rummel von 1. bis 4. Oktober an (Flyer und Info unter Tel. 09867-724). „Das ist bewusst ein religiöses Angebot“, so Gußmann. Pilgerrituale werden erklärt und auch Gebete gesprochen. am