Auf einmal Arzt  – In Uganda leistet Felix Klingler 42 Tage lang Hilfe unter Extrembedingungen Mrz01


Auf einmal Arzt – In Uganda leistet Felix Klingler 42 Tage lang Hilfe unter Extrembedingungen

Es weht ein angenehm lauwarmer Wind als Felix Klingler Ende August um 3 Uhr nachts und bei etwas über 20 Grad in Entebbe landet. Mit einem Gefühl irgendwo zwischen großem Tatendrang und gesunder Anspannung steigt er aus dem Flugzeug in der ehemaligen Hauptstadt. Die Republik Uganda hat mit rund 35 Millionen Einwohnern trotz einer zuletzt verbesserten wirtschaftlichen Ent-
wicklung noch immer zu den ärmsten Staaten der Erde gehört. Er taucht ein in eine aus europäischer Sicht andere, vielleicht auch zunehmend vergessene Welt.

Einmal abhören bitte. Der Patient litt an einer schweren Herzerkrankung.

Einmal abhören bitte. Der Patient litt an einer schweren Herzerkrankung.


Felix Klingler will ankämpfen gegen das Vergessen, das Ausblenden, das Wegschauen. Sich nicht auf dem deutschen Wohlstandssofa lümmelnd verstecken, wo er anderswo mit seinen Fähigkeiten bereits zu Studienzeiten Leben retten kann.
Nach zehn Medizin-Semestern an der Universität in Erlangen hat er die theoretische Ausbildung hinter sich, ab in die Praxis also. Endlich, möchte man ihn beglückwünschen. Denn Felix Klingler gehört nicht an den Schreibtisch, er gehört – auch wenn erst 25 Jahre jung – ran an den Patienten. Bereits zu Schulzeiten war ihm klar, dass er einmal Arzt werden will. Menschen helfen zu können, das war ihm immer schon ein Anliegen, die Medizin seine große Leidenschaft. Wer den Insinger kennt, der weiß: Sie ist und wird für ihn immer mehr sein als bloßes Studium oder bloßer Beruf.
Zurück in Entebbe. Felix Klingler sitzt am nächsten Morgen mit Max, Eva, Magdalena und Clara, Mitstudenten und Freunde aus Erlangen, startklar in einem Toyotakleinbus. Vorbei an tiefgrüner, dichtbebuschter Vegetation, unzähligen Kaffee- und Teeplantagen, Viehherden und Blechhütten geht es zunächst über die Autobahn, dann über holprige Straßen und am Ende nur noch über notdürftig präparierte Lehmpisten tief hinein ins Landesinnere Ugandas. Kiwoko, ein 4 000-Einwohner-Dorf dient als Endstation. Und für Felix Klingler gleichzeitig als Beginn eines großen Abenteuers, „erschreckend und wunderschön zugleich“, wie er später erzählen wird.
Eine weitere Nacht später und der ersten in ihrer Unterkunft bei Winnie und Rose, für deren Kinder die Erlanger Studenten inzwischen die Schule mitfinanzieren, ist er mittendrin im Alltag vor Ort. Um 8 Uhr morgens geht es zunächst zum einstündigen Gottesdienst. Zwei Stunden zuvor haben ihn bereits die Tagesmeldungen wachgerüttelt, die täglich aus den Lautsprechern im Dorf schallen. Um 9 Uhr gibt es das erste Meeting im Krankenhaus, gegen Mittag folgte die Visite.
Was zunächst fast nach gewohnten Abläufen klingt, ist genau das nicht. Angefangen bei einer strikten Mann-Frau-Trennung und Gebeten vor jeder OP über Krankentransport auf Schotterwegen und Medizinmachen zwischen Duschvorhängen bis hin zur Behandlung von Schusswunden – nur 100 km in nördlicher Richtung tobte ein Bürgerkrieg – und nicht zuletzt Krankheiten, die töten, obwohl sie es bei einer modernen, medizinischen Versorgung längst nicht mehr müssten.
An der Versorgung mangelt es an allen Ecken und Enden. Mal fehlen Medikamente, Geräte oder auch nur steriles OP-Besteck, mal gut ausgebildete Ärzte, nicht selten das Geld. „Teilweise sind Kranke einfach abgehauen, da sie sich die Behandlung nicht leisten konnten“, erzählt Felix Klingler, als er bereits wieder in Deutschland ist. Gemütlich mit einem Bier vor sich in der Kneipe sitzend. Heile Welt. „Bei uns kommt dir auf einmal alles unendlich gerecht vor“, sagt er. „Wir Deutschen nehmen eine Vielzahl sozialer Absicherungen als völlig selbstverständlich an, in Uganda gilt das Recht des Stärkeren“.
Ein an Epilepsie erkrankter siebenjähriger Junge beispielsweise habe plötzlich beide Eltern verloren und fortan völlig allein zurechtkommen müssen, erinnert er sich. Ein weiterer Junge verstarb an einer verschluckten Erdnuss und der daraus resultierenden Lungenentzündung, da dem Krankenhaus die nötigen Instrumente fehlten. Ein 14-jähriges Mädchen starb an Tetanus. Nicht nur, dass dagegen in Deutschland geimpft wird, man hätte „in einem deutschen Krankenhaus zumindest die Chance gehabt ihr das Leben zu retten“, weiß Felix Klingler.
Ein betäubendes Gefühl der Machtlosigkeit. Eine beinah unvorstellbare Ohnmacht. Dabei zusehen zu müssen, wie ein Kind einen solch unnötigen Tod stirbt. „Egal wie gut du dich auf so etwas vorbereitest, natürlich nimmt dich das mit.“ Immer wieder aber ist es auch fehlendes Vertrauen einer in weiten Teilen fundamental-religiösen Bevölkerung in die schulmedizinische Hilfe, das zu vermeidbaren Tragödien führt.
Schwer bei solchen Geschichten nicht den Blick aufs Positive zu verlieren – so betreute Felix Klingler beispielsweise zum ersten Mal und ganz allein auf sich gestellt erfolgreich eine Geburt – und auch den auf das Schöne im Fremden. Auf Menschen, denen es an wesentlichsten Dingen mangelt, denen der Tod ein ständiger Begleiter scheint, und die dennoch eine „unendliche Herzlichkeit“ an den Tag legen. „Wir waren sofort Teil der Gemeinschaft“, erinnert sich Felix Klingler. Auch wenn freilich ein besonderer: „Wenn ich tagsüber laufen gegangen bin, sind mir immer fünf bis zehn Kinder „Muzungu“-rufend hinterhergelaufen.“ „Muzungu“ ist „Luganda“ und bedeutet ins Deutsche übersetzt „weißer Mann“.
„Ich habe mich nie unsicher gefühlt“, berichtet Felix Klingler weiter. „Aber man sollte nicht zart besaitet sein.“ An Dinge wie das Abkochen von Wasser oder eine gewisse Vorsicht beim Essen müsse man sich darüber hinaus eben gewöhnen.
Eva, Max (rechts) und Felix (links) mit einem Teil des Teams der Bombo Medical Mission.   Foto: Privat

Eva, Max (rechts) und Felix (links) mit einem Teil des Teams der Bombo Medical Mission. Foto: Privat


„Und“, lacht er: „Alles geht in Uganda sehr, sehr langsam. manchmal bekommt man die Krise. Vor allem dann, wenn es darum geht, Leben zu retten.“ So etwas wie Pünktlichkeit existiere auch nicht. Dafür die sogenannte „Uganda-Time“, zu Deutsch: „Ich komme, wann ich will.“
Einmal, erzählt Felix Klingler, waren sie mit Dr. James Nyonyintono, Leiter der Bombo-Mission, zu deren Unterstützung auch die Erlanger Studenten für eine Woche eingesetzt wurden, auf dem Weg zu einer in ein ambulantes Krankenhaus umgebauten Schule. Auf der Fahrt verliert ein Reifen Luft. Ersatz gibt es keinen im Wagen. Versuche ihn mit einer Ballpumpe aufzupumpen scheitern. Sie schleppen sich weiter bis zur nächsten Tankstelle. Pumpen den Reifen auf. Weiterfahrt. Nach 30 km ein Anruf. Die Tankstelle. James habe seinen Tankdeckel vergessen. Eine Plastiktüte und ein Schnürsenkel ersetzen ihn. Am Ende kommen sie zwei Stunden zu spät.

Die Uhren ticken eben anders

Innerhalb einer Woche kamen über 6 000 Patienten. In enger Absprache mit den Ärzten vor Ort behandelte Felix Klingler viele davon ganz alleine. Kuriose Fälle waren dabei stets an der Tagesordnung. „Es kommen Leute, die sitzen im Rollstuhl und wissen nicht, wieso sie da sitzen.“
Es mangelt Felix Klingler nicht an solchen Geschichten. Und er erzählt sie in keinster Weise abwertend. Die Uhr, die Organisation des Alltags, das Leben tickt eben anders in Kiwoko. So anders und so schön in seiner Andersartigkeit, dass Felix Klingler zwar nicht gleich wieder nach Uganda „in den Busch“ möchte, aber doch wieder auf den afrikanischen Kontinent. Und so wird er bereits im Mai diesen Jahres in Kapstadt wieder aus dem Flugzeug steigen. Ein Arzt ohne Grenzen also, und das schon während des Studiums. Das Sofa wird für Felix Klingler wohl nie zum großen Freund werden. og

Im Nachgang ihrer Reise haben die Erlanger Studenten den Verein „Hilfe für Kiwoko“ gegründet. In einem ersten Schritt sammeln sie für einen Blutkonserven-Kühlschrank. Kontakt: felixklingler@yahoo.de, Spendenkonto: IBAN DE29 7636 0033 0000 7068 76