Andenken jüdischen Lebens Okt01


Andenken jüdischen Lebens

Ahnenforschung auf dem Friedhof und in der Synagoge in Michelbach an der Lücke

Umringt von leicht wogenden Getreidefeldern, unter alten Bäumen von einer starken Natursteinmauer begrenzt, liegt der jüdische Friedhof im Hohenlohischen Michelbach an der Lücke. Das Land ist flach, leicht hügelig und mit Waldstücken umsäumt. Wenn man sich dem jüdischen Friedhof nähert, fällt seine Lage am Rande des Ortskerns auf. Die Beobachtung führt zu einem zentralen Punkt jüdischen Verständnisses – der Friedhof gilt als Ort des Friedens, der Ruhe und der freudigen Erwartung auf das Kommen des Messias. Die Grabordnung sieht deshalb eine Ausrichtung nach Osten in Richtung Jerusalem vor. Das hebräische Wort für Friedhof ist „bet olmin“, das heißt „Haus der Ewigkeit“ und findet sich fast auf jedem Grabstein. Die Toten ruhen in ihren Gräbern bis zum jüngsten Tag und sollten weder durch Friedhofsarbeiten noch durch Grabräumungen gestört werden.

Schief und verwittert stehen die alten Zeitzeugen jüdischer Vergangenheit auf dem Michelbacher Friedhof. Foto: ul

Schief und verwittert stehen die alten Zeitzeugen jüdischer Vergangenheit auf dem Michelbacher Friedhof. Foto: ul


Die Angehörigen besuchen die Grabstätten, die nur einmal belegt werden eher seltener, um die Ruhenden nicht zu stören. Auffällig ist, dass lediglich die aufgereiten Grabsteine ohne Umrandung und Blumenschmuck auf einer großen Rasenfläche ein typischer Anblick jüdischer Friedhöfe ist. Statt einer bunten Bepflanzung legen Angehörige einen kleinen Stein auf das Totendenkmal. Dieses Ritual stammt aus der Zeit, in der Juden auf der Flucht aus Ägypten durch die Wüste zogen. Damals brachten die Angehörigen zur Bestattung und zu späteren Besuchen kleine Steine mit und schichteten sie auf dem Grab auf. Die Grabinschriften in Michelbach wurden zunächst ausschließlich in hebräischen Schriftzeichen angebracht und später in deutscher Schrift ergänzt. Symbole wie der Davidstern, ein Schofar (Widderhorn, Hinweis auf Ehrenamt), ein Beschneidungsmesser oder segnende Hände als Zeichen eines Nachkommens des Priesters, deuten auf das orthodoxe Glaubensleben hin. Frauen dürfen Beerdigungen nicht beiwohnen und den Männern wird beim Friedhofsbesuch eine Kopfbedeckung vorgeschrieben.

Kulturgut bleibt erhalten
Die letzte jüdische Ruhestätte (von 1840) mit der dazugehörigen Synagoge im Michelbacher Ortskern (eine der ältesten Baden-Württembergs) aus dem Jahr 1756 zeugt heute noch von Geschichten aus der Vergangenheit. Die Juden, die um 1700 aus Rothenburg vertrieben worden waren, ließen sich möglichst nahe der alten Heimat, so auch hier und in vielen anderen umliegenden Dörfern nieder.

Fast 200 Jahre alt sind die Siedlungen rund um Rothenburg, woran ein jüdischer Kulturwanderweg erinnert. Der im Jahr 2017 von Bad Mergentheim, Weikersheim, Wallhausen, über Crailsheim, Schwäbisch Hall bis nach Berlichingen verlaufende Weg, führt vorbei an ehemaligen jüdischen Gemeinden mit KZ-Gedenkstätten, Friedhöfen, Synagogen, Mikwen und mehr. Welch glücklichem Umstand verdankt der Michelbacher Friedhof noch immer seine Existenz? Es wäre keine große Sache gewesen, die Mauern einzureißen und die Grabsteine zu beseitigen. Die Nazis haben bekanntlich nicht lange gefackelt, wenn es um die Zerstörung jüdischer Kulturstätten ging. War es seine Bedeutungslosigkeit im Vergleich zu anderen Hinterlassenschaften oder ist der Friedhof einfach nur in Vergessenheit geraten?

In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 rückte die hiesige Hitlerjugend in Michelbach an, um die Synagoge in Brand zu setzen. „Die Getreidescheune des örtlichen Brauereibesitzers lag angrenzend an das Gotteshaus. Der Mann von beachtlicher Statur verhinderte die Zerstörung, so wird behauptet“, erklärt Christel Pfänder, 2. Vorsitzende des Fördervereins Synagoge Michelbach e.V.

Vor 20 Jahren wurde der Verein zum Andenken jüdischen Lebens in Michelbach gegründet. Seither lebt die Synagoge als Museum mit Lesungen, Konzerten und Führungen wieder auf. „Wir wollen anknüpfen an das gute Zusammenleben zwischen Juden und Christen, das in unserem Dorf einst eine Selbstverständlichkeit gewesen war“, so Christel Pfänder. Wichtig sei auch über die Kultur jüdischen Lebens zu informieren, um das Verständnis in der Bevölkerung zu fördern. Ihr Wunsch wäre es, beide Kulturen mit gemeinsamen, traditionellen Gerichten an einen Tisch zu bringen.

Ahnenforschung in Michelbach
Christel Pfänder verbindet seither eine immer tiefere Beziehung zur jüdischen Kultur, besonders am Herzen liegen ihr jedoch die entstandenen Kontakte zu Nachkommen der Verstorbenen auf dem Michelbacher Friedhof. Der Münchner Statistiker Dr. Ulrich Hornsteiner erfuhr nach langem Suchen den Namen seines Großvaters. Heute weiß er: Sein Opa hieß Moritz Jandorf, war Jude und zeugte 1927 in einer außerehelichen Liaison Hornsteiners Vater Heinz. 1934 wanderte Moritz Jandorf in die USA aus, wo er 1962 verstarb. In Heinz‘ Geburtsurkunde ist kein Vater eingetragen.
Ein eher glücklicher Umstand, denn nach den Nürnberger Rassengesetzen hätte Heinz als „Mischling ersten Grades“ gegolten. Ulrich Hornsteiner, und Dodd Fischer der aus Portland, Oregon (USA) stammt, trafen sich bei ihrer Ahnenforschung im Internet. Wie sich herausstellte, sind beide Enkel des Moritz Jahndorf, der es wohl mit der Treue nicht so genau genommen hatte. Durch die Suche Hornsteiners im Hengstfelder Stadtarchiv und die sich aufbauende Freundschaft zu Christel Pfänder, wurde ein Sohn der verstorbenen Autorin Laura Doermer auf Hornsteiner aufmerksam. Lauras Mutter war ebenfalls ein uneheliches Kind von Moritz Jandorf; die Geschichte ist im autobiografischen Roman „Trappentreu“ festgehalten. Christel Pfänder führt immer wieder die vielen neuen Cousins und Cousinen des Ahnenforschers (sechsten Grades) aus allen Teilen der USA durch die Synagoge und auf den Friedhof.

Als Dankeschön trafen immer neue Pakete mit Judaika verschiedenster Art von amerikanischen Angehörigen in Michelbach ein. ul